Haus Dacheröden

Auf den Spuren des Kolonialismus in Erfurt

28. Februar 2019
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Was hat Erfurt mit dem Kolonialismus zu tun? „Eine ganze Menge“, weiß Dr. Urs Lindner, Junior-Fellow am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Seit langer Zeit beschäftigt er sich mit dem Thema – im Wintersemester nun hat er zusammen mit seinen Kolleginnen Dr. Cécile Stehrenberger und Dr. Juhi Tyagi ein Seminar für Studierende im Studium Fundamentale angeboten, das sich auf die Suche nach kolonialen Spuren in Erfurt begeben hat. Herausgekommen sind eine Ausstellung und ein thematischer Stadtrundgang – die die Studierenden und Dozenten am 13. März erstmals der Öffentlichkeit präsentieren. Unterstützt wird das Projekt von der Initiative „Decolonize Erfurt“ und der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die koloniale Vergangenheit
Deutschlands spielt im kollektiven Gedächtnis der deutschen
Mehrheitsgesellschaft nach wie vor eine nur marginale Rolle – obwohl sich seit
mehreren Jahrzehnten verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen darum
bemühen, sie ins Zentrum erinnerungspolitischer Diskurse und Praktiken zu
rücken. Auch die geschichtswissenschaftliche und gesellschaftstheoretische
Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus und seinen Folgen betrifft
bislang vergleichsweise kleine Forschungsfelder. Im Seminar an der Uni Erfurt
beschäftigten sich die Studierenden deshalb einerseits mit jener kolonialen
Vergangenheit Deutschlands, aber auch damit, welche ihrer (auch materiellen)
Spuren in unserer Gegenwart noch spürbar sind bzw. wie diese nach wie vor von
Kolonialität und (neo)kolonialen Kontinuitäten geprägt ist. Darüber hinaus
setzten sie sich mit bisherigen akademischen und aktivistischen
Aufarbeitungsversuchen auseinander.

„Unter dem Titel
‚Kolonialismus in Erfurt – 1503 bis heute‘ ordnen wir in der Ausstellung und
den Stadtrundgängen das Thema zum einen in einen breiteren Kontext ein,
zugleich erzählen wir aber auch Geschichten, die unmittelbar mit Erfurt zu tun
haben“, sagt Dr. Urs Lindner. „Wir wollen damit eine möglichst breite
Öffentlichkeit erreichen, deshalb war es uns wichtig, das Thema leicht
verständlich aufzubereiten und im wahrsten Sinne des Wortes erfahrbar zu
machen.“ Und wo genau finden sich in Erfurt solche Spuren des Kolonialismus?
„Zum Beispiel im Benaryspeicher, wo die sogenannte Südseesammlung von Wilhelm
Knappe, seines Zeichens Konsul in Samoa und Kolonialbeamter aus Erfurt,
aufbewahrt wird“, weiß Lindner. „Oder am Nettelbeckufer, dessen Namensgeber
Handel mit versklavten Menschen betrieben hat.“ Weitere Orte und Namen? Das
Burenhaus, der Domplatz, das Haus Dacheröden, die „Mohren-Apotheke“, das
Theater, der Gothaer Platz, der Fischmarkt, aber auch der Zoopark. Dazu Konrad
Adenauer und der Erfurter Willi Münzenberg, der in den 1920er-Jahren den
Antikolonialismus der Kommunistischen Internationale organisierte und dafür eine
‚Liga gegen koloniale Unterdrückung’ gründete. „Wir haben insgesamt 14
Stationen erarbeitet, die das Thema von verschiedenen Seiten beleuchten – jede
einzelne findet sich in unserer Ausstellung wieder. Und je nach Interesse des Publikums
suchen wir jeweils sechs bis sieben davon für die Stadtrundgänge aus.“

Wer neugierig geworden ist,
kann sich unter E-Mail: decolonize.erfurt@gmail.com
nach einem Stadtrundgang erkundigen. Der erste startet am 13. März um 15.30 Uhr
Ecke Augustinerstr. / Am Hügel. Er führt zum Haus Dacheröden, wo um 18 Uhr die
Ausstellung „Kolonialismus in Erfurt – 1503 bis heute“ eröffnet wird, die dort
bis zum 11. Mai zu sehen ist, bevor sie ab Mitte Juli in der Gedenkstätte Topf
& Söhne in Erfurt gezeigt wird. Darüber hinaus wird es einen Blog geben, der
Ausstellung und Stadtrundgang begleiten und um weitere Informationen und
Beiträge ergänzen soll. Er ist unter https://decolonizeerfurt.wordpress.com
im Internet zu finden. Zur Ausstellungseröffnung sind als Gäste Tahir
Della von der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ sowie Jovita dos
Santos Pinto geladen, die zur Geschichte Schwarzer Frauen in der Schweiz
forscht.

Der Beitrag Auf den Spuren des Kolonialismus in Erfurt erschien zuerst auf WortMelder.

Quelle: https://aktuell.uni-erfurt.de/2019/02/28/auf-den-spuren-des-kolonialismus-in-erfurt/