Ausstellung "Göttliche Kunst"

Das Fenster ins Innere. Die Jahresausstellung der Forschungsbibliothek Gotha widmet sich der Medizin in der Frühen Neuzeit

29. März 2019
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Wenn in diesem Jahr die Welt auf Italien und Frankreich
blickt, die feierlich den 500. Todestag von Leonardo da Vinci begehen, dann werden
uns auch die anatomischen Studien dieses Tausendsassas immer wieder begegnen –
angefangen von seiner berühmten Proportionsstudie „Der vitruvianische Mensch“
bis hin zu seinen Organ-, Muskel- und Embryostudien. Die Faszination des
menschlichen Körpers konnte schließlich auch am größten Universalgelehrten der
Geschichte nicht einfach vorbeigehen. An der Seite von Ärzten sezierte,
zeichnete und beschrieb er mit der ihm eigenen Akribie. Wissenschaftler aus
ganz Europa taten es ihm in den folgenden Jahrhunderten mit großem Erfolg gleich,
sodass eine Fülle medizinischer Werke in den Gelehrtennetzwerken der Frühen
Neuzeit kursierte. „Dabei bildeten damals vor allem die anatomischen Bücher mit
ihren spektakulären Abbildungen noch das Fenster ins Innere des menschlichen
Körpers“, betont Dr. Sascha Salatowsky. Der wissenschaftliche Referent der
Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt kuratiert zusammen mit Prof.
Dr. Dr. Michael Stolberg (Institut für Geschichte der Medizin, Universität
Würzburg) die Ausstellung „Eine göttliche Kunst. Medizin und Krankheit in der
Frühen Neuzeit“, die am 13. April auf Schloss Friedenstein eröffnet wird. „In
der Frühen Neuzeit gab es zum ersten Mal überhaupt solch detaillierte
Darstellungen, auch wenn sich das Wissen natürlich weiterentwickelte und
einzelne anatomische Zusammenhänge noch nicht erkannt worden sind. Aber die anatomischen
Abbildungen spiegeln den Willen der frühneuzeitlichen Mediziner und Gelehrten
wider, den Körper und seine Funktionsweise zu verstehen. Gleichzeitig waren sie
für viele, die nicht die Möglichkeit hatten, an Sektionen teilzunehmen, die
einzige Möglichkeit, in den Körper hineinzusehen.“ Mit der Entdeckung des
Blutkreislaufes, der präzisen Erforschung der Augen sowie der Hirnstruktur brachte
die Frühe Neuzeit wichtige medizinische Meilensteine hervor, die in einer
großen Zahl von Publikationen rasante Verbreitung erfuhren, nicht nur in der
europäischen Gelehrtengemeinschaft, sondern zunehmend auch bei damaligen Laienmedizinern,
wie Hebammen und Chirurgen, und anderen wissenschaftlich Interessierten. Ein
solcher war Herzog Ernst I., genannt der Fromme (1601–1675), weiß Salatowsky.
Und so verwundert es ihn nicht, dass die Forschungsbibliothek Gotha, deren
Grundstein der erste Herzog auf dem Friedenstein legte, noch heute einen
reichen Bestand an botanischen, medizinischen und anatomischen Schriften hat.
Ein Glücksfall für den Kurator, der so für seine Ausstellung auf eine Fülle von
historischem Material zurückgreifen kann.

Aber nicht nur die persönliche Wissbegier ließ Ernst die
herzoglichen Bücherregale füllen, auch seine Verantwortung als Landesherr
spielte dabei eine große Rolle. „In gewisser Weise hatte der Herzog die
Oberaufsicht über die Medizin“, erzählt Salatowsky. „Er war es, der Verordnungen
im Seuchenfall erließ, Preise für Medikamente und Behandlungen festlegte, die
Zulassung von sogenannten Badern, von Apothekern, Hebammen und Stadtärzten
regelte. Ihm lag wie jedem Fürsten daran, Ordnung in das Gesundheitswesen zu
bringen, den ‚Markt‘ zu regeln und vor allem sein Volk vor Scharlatanen zu
bewahren.“ Bei seinen Entscheidungen ließ er sich von seinen Leibärzten und dem
Stadtphysikus beraten, denen er mit einer gut bestückten Bibliothek aber auch
mit den in einem anatomischen Kabinett gesammelten Präparaten und Nachbildungen
wichtige Instrumente an die Hand gab – für ihre Beratung, aber natürlich auch
für die Behandlung der Bevölkerung und der Hofmitglieder.  „Generell mussten die Ärzte in der Frühen
Neuzeit über ein sehr umfassendes medizinisches Wissen verfügen“, erläutert
Salatowsky. Sie mussten mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Symptome
deuten, Krankheiten diagnostizieren und Heilverfahren verordnen – und das, wie
beispielsweise unter Ernst I., zum Teil in einer Zeit, die von Krieg und Hunger,
Tod und Seuchen stark geprägt war. „Gesellschaftlich bedeutete das eine echte
Herausforderung. Auch darf nicht vergessen werden, wie stark Medizin und
Religion miteinander verwoben waren. Dies hatte Konfliktpotenzial. Der Kranke
fragte sich: Welche Heilmöglichkeiten gibt es? Wer heilt mich? Ein hartes persönliches
Schicksal ließ vielleicht am gerechten Gott zweifeln. Es herrschte eine uns
heute kaum vorstellbare Unmittelbarkeit von Gesundheit, Krankheit und Tod. Wenn
bei einer Seuche die Hälfte der Bevölkerung stirbt, deine ganze Familie
dahingerafft wird, wo findest du Trost? Medizin und Religion für das
körperliche und seelische Heil gehörten daher zusammen. Die Vorstellung, eine Krankheit
sei von Gott gesandt und der Tod sei der Durchgang zur Auferstehung, war in der
tief religiös geprägten Frühen Neuzeit noch sehr verbreitet.“ Konflikte
zwischen Theologie und Wissenschaft blieben deshalb nicht aus. Zwar wurde der
theologische Einfluss auf die Medizin zunehmend geringer und einen großen
offenen Disput, wie er auf dem Gebiet der Astronomie ausgefochten wurde, gab es
nicht. Dennoch verkündete mancher Prediger gerade in Seuchenfällen, – und davon gab es im Thüringen der Frühen
Neuzeit einige – Gott bestrafe die Menschen für ihre Sünden. So bewegte
sich ein Arzt der Frühen Neuzeit stets zwischen der Gnade Gottes, religiösem
Heil und naturwissenschaftlicher Erkenntnis.

Eine göttliche Kunst

Trotzdem wurde die Medizin ein ganz bedeutender Teil der
Gesellschaft und der Wissenschaft. An den Universitäten Europas wurden
medizinische Fakultäten gegründet und botanische Gärten für die
Heilkräuterkunde angelegt. Die Landesfürsten – ob protestantisch oder katholisch – unterstützten die
Akademisierung und Professionalisierung der Medizin aktiv. Die Anatomie bildete
neben Botanik, Chemie, Pharmazie und Chirurgie eine der wichtigsten Säulen der
Medizin. Dabei war vor allem der Wissenszuwachs durch Sektionen enorm. Und so
wurden im 16. Jahrhundert mit fürstlicher Erlaubnis die ersten anatomischen
Theater gegründet, in denen regelmäßig unter Anwesenheit von großem Publikum
akademische und öffentliche Autopsien durchgeführt werden konnten. Besonders
bekannt mit seinen Sektionen wurde der in Hamburg geborene Jenaer
Medizinprofessor Werner Rolfinck (1599–1673). Er studierte in Rostock und
Wittenberg sowie in Oxford, Paris und Padua. Nach seiner Promotion zum Doktor
der Medizin wurde er zunächst Anatomie-Professor in Wittenberg, bevor er 1629 einem
Ruf an die Universität Jena folgte und dort Anatomie, Botanik, Chirurgie und
Chemie lehrte. Als Sektionen längst zum universitären Alltag gehörten, machte
er hier die Anatomie zur eigenständigen Disziplin und begann 1630, direkt am
Leichnam öffentlich Chirurgie zu lehren. Rolfinck war ein Verfechter der Lehre
des flämischen Gelehrten und Leibarztes Karl V. Andreas Vesalius (1514–1564),
der die lange vorherrschende medizinische Lehre des griechischen Arztes Galen in
Teilen anzweifelte und dessen Auffassung vom menschlichen Körper durch eigene
Beobachtungen in manchen Punkten widerlegte. Mit seinem Werk Sieben Bücher
über den Aufbau des menschlichen Körpers
(1538–1542) begründete Vesalius
die moderne Anatomie und wurde für viele folgende Mediziner wie Rolfinck zum
Vorbild. Und so wie Vesalius in Italien hingerichtete Verbrecher für seine
anatomischen Untersuchungen aufschnitt, wurde auch der Name Rolfinck in Jena
zum geflügelten Wort – hatte man doch Angst, als zum Tode verurteilter Straftäter
am Ende auf dem Seziertisch des Professors zu landen und „gerolfinckt“ zu
werden. „Nicht zuletzt durch Rolfinck wurde die Medizinische Fakultät in Jena zu
einer der renommiertesten Lehreinrichtungen und ein bedeutender Ort für die
Medizin in Thüringen des 17. Jahrhunderts allgemein, auch wenn es Debatten
innerhalb der christlichen Konfessionen gab, inwiefern Verstorbene im Blick auf
die Unversehrbarkeit des Leibes auf diese Weise seziert werden dürfen“, betont
Sascha Salatowsky. „Sein Ruf als hervorragender Mediziner und Lehrer
verbreitete sich rasch. Er hinterließ mit seinen gesammelten Schriften Dissertationes anatomicae (1656) – die
sich übrigens ebenfalls in den Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha
befinden – nicht nur einen Wissensspeicher über Knochen, Muskeln, Nerven und
Blutgefäße. Auch bildete er wichtige Leibärzte und Stadtphysici in Botanik,
Anatomie und Chemie aus, die ihr Wissen in weitere Städte und an die Höfe
trugen und die ihrerseits wieder bedeutende Werke hinterließen: Thomas
Reinesius (1587–1667) aus Gotha zum Beispiel, der sich bei der Behandlung und
Vorsorge der Pest landesweit verdient gemacht hat, oder Georg Wolfgang Wedel
(1645–1721), der 1667 Landphysikus von Sachsen-Gotha wurde.“ 

Werner Rolfinck ist einer von vielen bedeutenden Akteuren
der Medizingeschichte, die Sascha Salatowsky als Kurator zusammen mit Michael
Stolberg in der Ausstellung über Medizin und Krankheit in der Frühen Neuzeit
vorstellt. Besonders wichtig ist es ihm dabei, die Leistungen für die weitere
Entwicklung der Medizin herauszustellen, und zwar stets im Kontext der Zeit, im
Zusammenspiel von Religion und frühneuzeitlicher Gesellschaft. „Natürlich sind
einige Ansichten heute überholt oder kommen uns eigenartig vor. Wir können uns
zum Beispiel nicht mehr vorstellen, dass ein Arzt anhand von Farbe,
Beschaffenheit und Geruch unseres Urins als mehr oder weniger einzigem Hinweis
auf eine bestimmte Krankheit schließt und danach seine Therapie ausrichtet. Allerdings
besteht hier auch kein Grund für Hochmut. Alles muss in den Wissensstand und
die Möglichkeiten der Epoche, in der es noch kein Mikroskop oder medizinisches
Labor gab, eingebettet werden.“ Die alten Drucke und Handschriften der
Forschungsbibliothek Gotha und sorgfältig ausgewählte Leihgaben wie
Kupferstiche, anatomische Modelle und chirurgische Instrumente machen das in
der Ausstellung auf Schloss Friedenstein möglich – und öffnen den Besuchern so ein
„Fenster ins Innere“ der frühneuzeitlichen Medizin.

Weitere Informationen/Kontakt:

Dr. Sascha Salatowsky
Tel.: +49(0)361/737-5562
E-Mail: sascha.salatowsky@uni-erfurt.de

Zur Pressemitteilung

Ausstellung „Eine göttliche Kunst.
Medizin und Krankheit in der Frühen Neuzeit“

14. April bis 23. Juni 2019
Spiegelsaal, Schloss Friedenstein
Eintritt frei

Ausstellungseröffnung: Samstag, 13. April 2019, 14 Uhr

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, montags geschlossen, an Feiertagen geöffnet
am 9. Juni 10 bis 15 Uhr       

Schließtage: 9.-11. Mai 2019, 25. Mai 2019

Katalog zur Ausstellung: „Eine göttliche Kunst. Medizin und Krankheit in der Frühen Neuzeit“, herausgegeben von Sascha Salatowsky und Michael Stolberg, 212 Seiten, 23 x 29 cm, Broschüre mit Fadenheftung, ISBN: 978-3-910027-39-8 | Der Katalog ist im Buchhandel erhältlich oder kann unter bibliothek.gotha@uni-erfurt.de zum Preis von 27,- EUR bestellt werden.

Abbildung: Francesco Petrarca, Von der Artzney bayder Glück. Augsburg,1532. FB Gotha, Poes. 4° 417/3 (1), Das ander Buch, Bl. IIIv.

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Quelle: https://aktuell.uni-erfurt.de/2019/03/29/eine-goettliche-kunst/