Frühlingslese mit Dieter „Maschine“ Birr: Auf Lebenszeit

10. April 2014
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Für viele, die im Osten der Republik aufwuchsen, teilt sich das Leben in zwei Teile: die Zeit vor dem Herbst 1989, und in die danach. Das ist auch bei Dieter „Maschine“ Birr so. Doch der Frontmann der Puhdys hat für seine Autobiographie, die er zusammen mit Wolfgang Martin pünktlich zum eigenen 70. Geburtstag im März vorlegt, ein anderes als sein Schicksalsjahr ausgemacht. 2003 erkrankt er an Borreliose, ohne lange zu wissen, warum er sich so schlecht fühlt. Sein Gesicht ist erst auf der einen, dann auf der anderen Seite gelähmt. Sein Leben als Musiker steht vor dem Ende.

Die Ärzte stellen zunächst die richtige Diagnose und finden dann die passende Therapie. Die Lähmung verschwindet, Dieter Birr wird wieder gesund, und kehrt mit seiner Band auf die Bühne zurück. Doch der Schuss vor den Bug, den das Schicksal so plötzlich abfeuert, hat ihn nachdenklich gemacht. Bisher war ihm fast alles gelungen, er wuchs als Glückskind auf, keine Frage. Doch jetzt schwant ihm, das muss, das wird nicht ewig so gehen.

Die Krankheit steht auch fast am Anfang des Gespräches, das er mit dem Tour Manager der Puhdys, Kai Suttner, im Erfurter Stadtgarten führt. Die beiden sind auf einer kleinen Tour durch Thüringen, um Maschines Buch „Maschine“ vorzustellen. Gestern stand Bad Langensalza auf dem Programm, morgen wird es Arnstadt sein.

Wie kam es zum Buch, ist das erste Thema, dann geht es mit der Borreliose weiter. Dann tauchen beide tief in die Vergangenheit ab. Maschine erzählt von seinem ersten Instrument, einem Akkordeon. Wie er die Lust an dem schweren Kasten verlor und endlich seine erste Gittere bekam. Ein irres Gefühl, fühlte er sich doch seinen Idolen nah. „Elvis Presley mit Gitarre sah ja auch entschieden besser mit Gitarre als mit Akkordeon aus“, feixt er auf der Bühne. Sein Publikum freut sich mit ihm.

Als er von seiner ersten Aufnahme erzählt, von „Susi Baby Twist“, die nur den eingefleischtesten Fans bekannt ist, ruft es aus dem Saal: „Sing es doch einmal an.“ Dieter Birr macht es. Er hat Spaß, ist ganz bei sich. Und bei seinen Leuten vor der Bühne. Es sind Momente wie dieser, die erklären, warum die Puhdys noch immer solch eine treue Gemeinde haben.

Dieter Birr erzählt von den Touren, den ersten Auftritten im Westen. In Hamburg kamen unerwartet viele Leute, als es Richtung München ging, musste der Veranstalter draufzahlen, so wenige wollten die Ost-Band hören. Die Puhdys spielten auch tief im Osten, drei Monate reisten sie durch die Sowjetunion. Offiziell wurde Maschine das „Yeah, Yeah, Yeah“ verboten, Maschine sang dafür „Ja, Ja, Ja“. Noch heute kann er sich nicht richtig einkriegen, wenn er davon erzählt, so bescheuert hörte sich das an.

Als gelernte DDR-Bürger versuchten auch die Puhdys ein kleines Geschäft nebenbei zu machen. Der todsichere Tipp, einen Bootsmotor mit nach Berlin zu bringen, erwies sich zumindest für Maschine nicht als Erfolg; jahrelang stand die Kiste mit dem Ding im Gartenschuppen, ehe sich doch noch ein Käufer fand.

Warum sie immer wieder in die DDR zurückkehrten, möchte Kai Suttner wissen. Im Westen zu bleiben war nie ein Thema, antwortet Dieter Birr, „wir hatte ja nichts auszustehen.“ Wie die meisten Künstler in der untergegangen Republik, wie viele Kreative, „sind wir mit der Schere im Kopf aufgewachsen“. Bei Silly haben sie immer einen „rosa Elefanten“ eingebaut, damit der Zensor was finden und bemängeln kann, erinnert er sich. Klar gab es auch mal Ärger, wurde ein Lied, weil im Text auch das Wort Deutschland vorkam, nicht im Radio gespielt, aber so war es eben.

Dieter Birr ging und geht es immer um die Musik. Das war und ist – mit der Familie – das wichtigste für den 70-Jährigen. Er scheint fast froh, als die Rederei für drei Songs unterbrochen wird. Maschine stimmt noch kurz die Akustikgitarre und legt los. Und wie, mit der ganzen Inbrunst eines Mannes, der liebt, was er tut. Er spielt zwei Titel von seinem gerade erschienen Soloalbum. Auf Platz 13 ist das in den Charts eingestiegen, berichtet stolz der Manager. Mit dabei sind alte Kumpels wie Toni Krahl oder Uwe Hassbecker, aber auch neue Freunde wie Julia Neigel oder Wolfgang Niedecken.

Das dritte Lied ist dann ein Klassiker, „Lebenszeit“. Jetzt geht der Saal richtig mit; es klingt aber auch extrem authentisch, original Maschine eben, mit seiner ganz unverkennbaren Stimme.

Dann dreht sich das Gespräch noch ein wenig um das Soloalbum. Es geht um Wolfgang Niedecken und BAP, für die die Puhdys 1984 das abgesagte Konzert spielten. Inzwischen sind sich die Herren Musiker mehrfach über den Weg gelaufen. Sie mögen sich ganz offensichtlich. Als zweite Zugabe liest Kai Suttner vor, was Wolfgang Niedecken freundliches über Dieter Birr in dessen Buch zu sagen weiß. Da hat Maschine mit seiner ersten Zugabe „Wir wollen die Eisbären sehen“ den Saal aber ordentlich auf Touren gebracht. Schade, werden einige gedacht haben, so schön die Worte des Kölners sind, sie hätten lieber noch ein Lied vom Berliner gehört. Oder zwei.

Die dritte Zugabe gibt Dieter Birr dann neben der Bühne. Geduldig, freundlich, interessiert arbeitet er die lange Schlange ab. Er signiert sein Buch, seine neue CD, er unterschreibt alles, was seine Fans ihm über den Tisch schieben. Die sind einfach nur glücklich. Und er ist es auch. „Gehören zueinander. Auf Lebenszeit.“