Glücksbringerin auf Erfurts Dächern

Glücksbringerin auf Erfurts Dächern

19. Dezember 2022
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Aus Italien kommen nicht nur Pasta, Pizza und Prosecco. Aus Italien kamen einst, im 14. oder 15. Jahrhundert, auch die ersten Schornsteinfeger. Seither hatte der „Mann in Schwarz“ einen festen Platz im Aberglauben. Wenn man aber richtig Glück hat, kann es auch passieren, dass es eine „Frau in Schwarz“ ist. Sieben – eine Glückszahl. Schornsteinfeger – ein Glückssymbol. Packt man noch eine Frau dazu, hat man eine Geschichte. Die von Beata Niculescu.

So entsteht eine Dreiecksgeschichte.

Beata Niculescu ist Erfurts einzige Schornsteinfegerin mit eigenem Kehrbezirk. Die 45-jährige gebürtige Ungarin ist eine von jenen sieben Prozent weiblichen Schornsteinfegerinnen, die in Deutschland diesem dreckintensiven Handwerk nachgehen. Dreckintensiv? Das war es mal, auch wenn sie zuweilen heute noch die typischen Rußspuren an Händen und Gesicht hat. Ansonsten hat sich der Job grundlegend gewandelt.

Die Frau mit dem ungewöhnlichen Job ist eigentlich studierte Umweltingenieurin, hat lange Zeit in Ungarn als Produktionsmanagerin in der Industrie gearbeitet. Und um die Geschichte so richtig schön bunt zu machen, sie hat zuvor, von 2003 bis 2005, als Stewardess und Barfrau auf einem amerikanischen Kreuzfahrtschiff gejobt. Schöne Zeit. Die danach, in Ungarn, in der Industrie, war weniger schön. „80 Leute, jeden Tag die gleichen Abläufe und am Ende sah man nicht, was man eigentlich gemacht hat“, sagt sie. Unzufriedenheit.

Aber auf Regen folgt irgendwann wieder Sonne. Sie lernte ihren Mann Eduard, der in Eisenach lebte, kennen. Damals gab ihr eine Freundin, eine Schornsteinfegerin, den entscheidenden Tipp: Versuch’s doch mal mit Schornsteinfegerin. Im Internet endete die Suche nach einer freien Stelle in Deutschland in Rastenberg bei Sömmerda. Die Koffer gepackt und Umzug zu Eduard nach Eisenach.

Im Mai 2012 stellte sie sich bei Schornsteinfeger Michael Hotze in Rastenberg vor. Der las in ihren Papieren was von Umweltingenieur. Abgelehnt. Irgendwann rief Hotze zurück. Erzählte was von „sympathisch“ und drei Tage zur Probe. „Wenn ich was taugen würde, könnte ich ja eine Ausbildung machen“, hat er gesagt. Ausbildung, mit 35. Na toll.

Schornsteinfeger-Meisterin Beata Niculescu

An einem diesigen Morgen ging es um sechs Uhr los. Der Meister und sein Lehrling in spe auf einem 125er Simson-Moped. In den typisch schwarzen Zunftklamotten. Männergröße, Ärmel dreimal umgekrempelt, egal. Muss ein lustiger Anblick gewesen sein. Meister Hotze zeigte ihr alles Notwendige – Leine, Kugel, Besen. Nicht einfach war es. Nach den drei Tagen fragte Hotze, ob sie immer noch wolle. Sie wollte. Die Ausbildung wartete. Und die Hochzeit mit Eduard.

In Doberschütz (Sachsen) wohnte sie im Internat. Sie war die einzige Frau. Egal. Die Ausbildung war für Beata Niculescu besonders schwer, denn da gab es anfangs noch die Sprachbarriere bei den vielen Fachbegriffen und den Dialekten, die ihre Mitschüler sprachen. Man war schließlich in Sachsen. Nach drei Monaten lief es rund. Sie musste nicht mehr jeden Satz erst sprachlich aufbrechen, um ihn zu verstehen. Die junge Frau, Sternbild Stier, biss sich durch.

Duales System. In Eilenburg die Schulbank, in Rastenberg aufs Dach. Ausbildungsnote zwei stand am Ende zu Buche. Das war ihr nicht genug. „Ich wollte einen eigenen Kehrbezirk“, erinnert sie sich, als sie im August 2014 in Erfurt ihre erste Anstellung bekam.

Wieder Schulbank, in Bebra (Hessen). Zwei Jahre intensiv. Am Ende eignete sie sich in vier Jahren all das an, wofür andere zwölf lange Jahre brauchen. Weil sie es an fünf Tagen pro Woche in Vollzeitausbildung durchgezogen hatte. Stier halt. Ende 2016 Prüfung in Frankfurt/Main. Von 24 Prüflingen bestanden vier. Sie war eine davon.

Im März 2017 schrieb man in Erfurt einen der zwölf Kehrbezirke neu aus. Sie bekam ihn und baute sich nun ihren Kundenkreis neu auf. Nicht ohne Hindernisse, die ihr der männliche Vorgänger auftürmte. Aber der Stier in ihr hat wieder gesiegt.

Heute zieht Beata Niculescu mit Anlegeleiter, Leine, Kugel, Besen in Erfurt los. Wie früher, in Rastenberg. Nur sind die Häuser hier höher, bis zu 25 Meter. Nicht ganz ungefährlich, denn bis auf Schnee und Eis gibt es keine Ausreden. Angst hat sie keine. Dass man sie zuweilen am Ärmel zupft, das findet sie ganz normal. Nicht normal sind zuweilen blöde Sprüche oder Anmache. Wenn einer sagt, sie solle im Minirock kehren kommen, überhört sie das geflissentlich. Wenn aber ihre Mutter in Ungarn, wo sie inzwischen noch einen kleinen Industriebetrieb führt, über ihre Tochter sagt „Das passt zu ihr“, freut sie sich.

Text: Michael Keller

Fotos: Steve Bauerschmidt


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