Lesespuren in ägyptologischem Traktat

12. Juni 2014
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Prof. Dr. Martin Mulsow, Direktor des Forschungszentrums Gotha der Universität Erfurt, hat ein Autograf des vielleicht bedeutendsten deutschen Barockdichters entdeckt: Andreas Gryphius. Der Schlesier Gryphius (1616─1664) ist bekannt als Verfasser von sprachgewaltigen Sonetten und historischen Dramen. Weniger bekannt dagegen ist, dass er hochgelehrt war und allein sechs Jahre an der Universität Leiden verbrachte, dem damaligen Zentrum philologisch-historischen Wissens. In diesen Kontext gehört auch Mulsows Fund.

Es handelt sich um das Handexemplar eines ägyptologischen Traktats des Antiquars und Philologen Lorenzo Pignoria (1571─1631) von 1605 über die sogenannte „Mensa Isaica“ oder „Tabula Bembi“, eine spätägyptische Bronzetafel voller Hieroglyphen. Gryphius hatte es sich in Leiden gekauft und auf der Titelseite stolz auf Latein vermerkt „Den Musen des Philosophen und Dichters Andreas Gryphius geweiht“. „Es gibt auf der ganzen Welt nur noch etwa 20 andere solche Handexemplare des Dichters”, erklärt Mulsow, „deshalb ist es von großer Wichtigkeit, aus Lesespuren in dem Buch auf Interessen und Vorlieben von Gryphius zu schließen. Wir wissen zum Beispiel, dass Gryphius sich mit ägyptischen Mumien beschäftigte. In diesem Zusammenhang ist die Lektüre des wohl ersten ernstzunehmenden ägyptologischen Buches nur folgerichtig.“ Martin Mulsow hat bereits überprüft, ob sich der Traktat in Gryphius‘ Bibliotheksverzeichnis nachweisen lässt: „Das Buch ist dort feinsäuberlich verzeichnet ─ neben anderen gelehrten Werken zum Altertum, die er sich in Leiden angeschafft hat, wie zum Beispiel der Schrift von Isaac Casaubon gegen die Annalen des Baronius.“ Auch dieses Werk wurde in den Jahren um 1639 von Gryphius gekauft und mit einem Besitzervermerk versehen. Mulsow plant nun aufgrund seines Fundes eine nähere Beschäftigung mit den ägyptologischen Interessen von Gryphius.