Thüringer HC ist Deutscher Meister

18. Mai 2011
5 Minuten lesen

Die Schützlinge von Trainer Dirk Leun machten ihr bestes Saisonspiel und konnten es nicht fassen, dass sie am Ende den ersten Meistertitel so denkbar knapp verpasst hatten.
 
“Handballspiele werden im Kopf gewonnen.” Eine alte Trainerweisheit, hundert mal gehört, wurde gestern den mehr als 1100 Zuschauern in der Salza-Halle deutlich vor Augen geführt. Eine Mannschaft, die absolut nichts mehr zu verlieren hat, trifft nach stundenlanger Busfahrt auf ein freudig gestimmtes Team, das sich verbal klar äußert, den “Sekt noch nicht kaltgestellt zu haben”. Und das zeigte sich auch gleich bei der Einlaufzeremonie in der Körpersprache von THC-Spielführerin Kerstin Wohlbold. Beim Abklatschen der Teammitglieder musste jeder Einzelnen einfach klar werden : “Jetzt gilt es – noch einmal 120%”. Sie hatte dabei sicher auch die Erinnerung an das Hinspiel, das sie wegen ihrer dritten Zeitstrafe 20 Minuten vorzeitig beenden musste.
Aber es fiel auch auf der Gegenseite auf. Torhüterin Jana Krause, die sich im Hauptrundenspiel in der Salza-Halle eine langwierige Verletzung zugezogen hatte, demonstrierte in voller Körperlänge von 1,88 Metern, was sie damit meinte, auf der Autogrammkarte keinen “Vizemeister”-Eintrag haben zu wollen. Gemeinsam mit Trainer Dirk Leun signalisierte sie Mannschaft und Umfeld deutlich “wer nicht daran glaubt, dass wir die Begegnung umbiegen, braucht gar nicht in den Bus zu steigen”.
 
Und Jana war es auch, die der Anfangsphase der Begegnung ihren Stempel aufdrückte . In der 10. Minute stand es 3:3, alles deutete auf eine nicht unbedingt torreiche Begegnung hin. Auch im THC-Tor war Maike März auf dem Posten und gewann in der 3.Minute bravourös das erste Strafwurfduell gegen die erfahrene Steffi Melbeck. Gegen die knallharten Würfe von Josephine Techert in die Torwartecke fand sie allerdings in dieser Phase kein Rezept. Wie sich im weiteren Verlauf zeigen sollte, hatten die Gäste aus Buxtehude, die seit 1999 ohne Pause erstklassig sind und 2010 mit einer Top-Leistung Challenge-Cup Sieger wurden, auch die Hausaufgaben der letzten Woche erstklassig gemacht. So hatte die Gästeabwehr gegen alle “Brennpunkte” des THC-Angriffs das richtige Rezept parat. Kerstin Engel wurde frühzeitig gestört und erhielt keine klaren Wurfchance, Danick Snelder wurde am Kreis meist gedoppelt und auch die Kreise Kerstin Wohlbolds wurden weitgehend eingeengt. Und das zeigte Wirkung.
 
Das Spiel der Gastgeberinnen blieb fast die gesamte Spielzeit ohne die gewohnte Souveränität. Es gelang in der Offensive kaum einer Spielerin zur Normalform zu finden und so war es nur folgerichtig, dass man in der 20.Minute schon mit 6:10 im Rückstand lag. Nicht zuletzt durch eine wie entfesselt agierende Isabell Klein, die nicht nur wegen ihrer acht Treffer, eines ihrer besten Spiele machte. Sie war über die gesamte Spielzeit kaum zu stoppen. Neben ihr nutzte Maxi Hayn den gewonnenen Spielraum und erzielte sehenswerte Außentreffer (4:5 und 4:6). In dieser Phase war der Ball auf beiden Seiten schon mehrfach am Torgehäuse gelandet, was vor allem auf THC-Seite weitere Verunsicherung brachte. Die spürte auch Steffi Melbeck, die beim zweiten Strafwurf den Ball an den Pfosten setzte und zusehen musste, wie dieser von Maike März’s Fuß ins Aus und nicht ins Tor sprang. Von da an, ging nur noch Lone Fischer an den “Punkt” und zeigte sich wie schon im Hinspiel 100%ig sicher.
 
Herbert Müller schickte wie gewohnt in der 20. Minute Steffi Subke auf die Platte, die aber schon ab der ersten Ballberührung von Janne Wode perfekt “zugedeckt” wurde und kaum einen Meter Spielraum bekam. Und jetzt schien es zur Gewissheit zu werden: der BSV machte sich auf, die Partie tatsächlich “zu biegen”. In der 26.Minute hatte Steffi Melbeck mit Vehemenz das 13:7 erzielt – der BSV war erstmals “gefühlter” Meister. Jetzt warf Steffi Subke ihre ganze Routine in die Waagschale und erzielte mit dem 8:13 (27.Min) und 10:14 (30. und Halbzeitstand) die wohl wichtigste Ergebniskosmetik der Partie.
 
Das Hallenpublikum erwartete jetzt die schon legendären zehn stärksten THC-Minuten und blieb noch optimistisch. Als es dann aber auch diese mit einem Tor an die Gäste gingen, machte sich Ratlosigkeit breit und es gab auch die ersten Pfiffe für das Schiedsrichterpaar, das nach Meinung vieler Zuschauer bei einigen Aktionen nicht das gleiche Strafmaß wählte. Beiden muss man bescheinigen, dass sie die Partie jederzeit im Griff hatten und beide Teams trotz vollstem Einsatz durch absolut faire Spielweise unterstützten. Das hohe Tempo und die Angriffsdynamik der Buxtehuder Gäste beförderten das Strafenrisiko. Hier spricht das Verhältnis 12 zu 2 Minuten für den Thüringer HC auch eine klare Sprache.
 
Ab der 38. Minute gingen wohl alle Spielerinnen auf der Spielfläche und den Wechselbänken durch ein Wechselbad der Gefühle. Randy Bühlau und Lone Fischer hatten auf 12:18 erhöht und der Pokal war gefühlt im Buxtehuder Bus. Dann traf Nadja Nadgornaja zweimal in Folge und brachte wieder etwas Ruhe zurück. (14:18 – 40.Min). Aber der Nord-Express ließ sich nicht wirklich stoppen. Zwölf Minuten vor Schluss war es wieder Isabell Klein, die ihren BSV in der Gesamtrechnung nach vorn brachte. (17:23 – 48.Min) Kerstin Wohlbold wuchtete zwar den Ball im Gegenzug unter die Latte, aber es schien das letzte Aufbäumen des THC zu sein.
 
Die nun folgenden zehn Minuten wird wohl niemand in der Halle so schnell vergessen. Der BSV hatte einen Lauf und zog auf 18:27 davon. Diese Phase glich der Entzauberung einer Mannschaft, die dieser Saison über viele Monate, bis zu diesem Spieltag, ihren Stempel aufgedrückt hatte. Die Zuschauer auf den Rängen standen, die Stimmung lässt sich nur ahnen. War das schon der sichere Titel für Buxtehude? Alle Anzeichen sprachen dafür, der Lohn für eine super Vorstellung in des Gegners Halle und die dritte Wiederholung einer gelungenen Aufholjagd in den PlayOffs (Frankfurt Leipzig) schien Gewissheit zu werden. Doch jetzt geschah etwas, was wohl kaum jemand erwartet hatte. Das was manche Trainer auch die “Wunderkiste Frauenhandball” nennen. Als Diane Lamein den BSV in der 55.Minute wieder mit 28:19 in Führung gebracht hatte, ahnte niemand, dass das der letzte Gästetreffer sein würde. Wie Phönix aus der Asche, jetzt der THC. Mit voller Laufbereitschaft in der Abwehr und Mut und Glück im Angriff kamen jetzt vier Paukenschläge: Pearl van der Wissel, Nadja Nadgornaja und zweimal Katrin Engel schafften das schier Unglaubliche. Sie brachten für den THC in der 60.Minute wieder den ersehnten Fünf-Tore-Abstand. Beim letzten Wurf von Katrin Engel war zwar Jana Krauses Hand am Ball, der Ball war aber scharf genug um ins Tor zu fliegen.
Postwendend, 32 Sekunden noch zu spielen, erhielt Nadja Nadgornaja nach einem Zweikampf mit Isabell Klein ihre dritte Zeitstrafe – sah damit rot. Jana Krause kam als siebte Feldspielerin und beim Verhältnis 7:5 konnte man eigentlich nur noch auf einen Pass zum Kreis und das Tor oder den fälligen Strafwurf warten. Doch die Zeit lief gegen den BSV. Vier Sekunden vor Schluss wurde die Uhr zum letzten Mal angehalten. Das war Höchstspannung. Josephine Techert kam an den Ball und musste werfen. Dreimal hatte sie zuvor den Ball erfolgreich in der Torwartecke untergebracht – jetzt aber stand der Abwehrblock und Maike März war in der richtigen Ecke und parierte das Geschoss, das für den BSV den Titel gebracht hätte.
 
Schlusspfiff. Der Rest war grenzenloser Jubel nach einer grandiosen Saison. Den Buxtehudern gehört ein Riesenkompliment für ein Finale, das im deutschen Frauenhandball wohl ein ganz Besonderes bleiben wird. Das wird die Damen und das Buxtehuder Umfeld wenig trösten, zu dicht dran waren sie am großen Erfolg. Aber es ist noch nicht zu Ende. Mit dem Final4 gibt es die zweite große Chance und der HC Leipzig oder der THC müssen beim DHB-Pokalfinale mit einem ganz starken Buxtehuder SV rechnen. Wenn es denn Bensheim-Auerbach zulässt. Aber daran zweifeln sicher wieder die wenigsten.
 
Von Roman Knabe
 
Statistik
 
Thüringer HC: Maike März, Petra Blazek; Nadja Nadgornaja (7/2), Stephanie Subke (3), Nora Reiche (1), Danick Snelder (1), Franziska Garcia-Almendaris, Katrin Engel (5/3), Idalina Borges Mesquita (1), Petra Popluharova, Kerstin Wohlbold (3), Pearl van der Wissel (2), Ulrike Jahn.
 
Buxtehuder SV: Jana Krause, Debbie Klijn; Isabell Klein (8), Janne Wode, Lone Fischer (7/4), Randy Bülau (2), Friederike Lütz, Susanne Petersen, Diane Lamein (3), Jana Stapelfeldt, Maxi Hayn (2), Jessica Oldenburg (1), Josephine Techert (3), Stefanie Melbeck (2).
 
 
Siebenmeter: 6/5 – 6/4.
 
Zeitstrafen: 6 – 1. (60. Min – Nadja Nadgornaja Disqualif. nach 3. Zeitstrafe)
 
Schiedsrichter: Robert Schulze/Tobias Tönnies (Magdeburg).
 
Zuschauer: 1100 (ausverkauft).

—————————————————————————-
Weitere Informationen unter:
http://thueringer-hc.de
und
http://www.twitter.com/ThueringerHC