PD Dr. Cornelia Betsch

„Wer die Impfpflicht einführen will, muss erstmal seine Hausaufgaben machen“

22. Juli 2019
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Anhaltende Masernausbrüche haben dazu geführt, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nun dem Kabinett einen Gesetzesentwurf für eine Impfpflicht gegen Masern vorgelegt hat. Der Deutsche Ethikrat, die Leopoldina Akademie der Wissenschaften und verschiedene Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Psychologie sehen eine Impfpflicht jedoch kritisch. Die Frage, ob eine Impfpflicht aus wissenschaftlicher Sicht empfehlenswert ist, kommentiert Prof. Dr. Cornelia Betsch von der Universität Erfurt gemeinsam mit Professor Dr. Saad Omer (Yale Institute for Global Health) und Professorin Dr. Julie Leask (University of Sydney) jetzt in einem Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“.

Darin zeigen die Wissenschaftler im internationalen Vergleich, dass eine Impfplicht nicht immer zu höheren Impfquoten führt und dass auch die Härte des Zwangs, mit der eine Pflicht durchgesetzt wird, nicht eindeutig mit höheren Impfquoten zusammenhängt. „Wir sehen, dass zu strenge Maßnahmen dazu führen können, dass Eltern Wege suchen, um ihre Kinder nicht impfen zu lassen. Wenn zum Beispiel ausschließlich medizinisch begründete Ausnahmen zugelassen werden, finden Eltern, die partout nicht impfen wollen, trotzdem einen Weg, nicht impfen zu müssen. Außerdem ist zu befürchten, dass die Einführung einer teilweisen Impfpflicht zu geringeren Impfraten bei anderen freiwilligen Impfungen führen kann. Harte Zwänge haben in anderen Ländern auch zu einem Erstarken der Impfgegnerbewegung geführt“, fasst die Psychologin Cornelia Betsch zusammen. 

Vor Einführung einer Impfpflicht müssten Regierungen außerdem prüfen, ob der Zugang zu Impfungen gerecht und einfach genug ist. Auch hier sieht Cornelia Betsch für Deutschland Nachholbedarf: „Studien in Deutschland zeigen, dass praktische Barrieren für alle relevanten Altersklassen ein Problem sind.“ Diese müssten zunächst abgebaut werden – das heißt, es stünde zunächst ein ganzes Bündel an Maßnahmen an, die zur Erhöhung der Impfbereitschaft geeignet sind. Die Autoren des Artikels nennen zum Beispiel Erinnerungssysteme, Impfungen in Schulen oder anderen Einrichtungen und ein Monitoring der Servicequalität – also auch der ärztlichen Seite des Impfwesens.

Einige dieser Maßnahmen sieht der neue Gesetzesentwurf vor. Jedoch sind diese Maßnahmen nach Ansicht der Wissenschaftler möglicherweise auch alleine in der Lage, die Impfquote zu erhöhen. Sollte ein Land dennoch eine Impfpflicht einführen, geben die Wissenschaftler eine Reihe von Empfehlungen: So sollten auch nicht-medizinischer Ausnahmen zugelassen werden, damit das Vertrauen und die Akzeptanz von Impfungen nicht leiden. Länder sollten eine teilweise Impfpflicht vermeiden und Sanktionen so gestalten, dass sie die soziale und gesundheitliche Ungleichheit durch z.B. Zugangsverbote für Schulen nicht weiter verstärken. Auf Basis der dargelegten Argumente rufen die Wissenschaftler explizit dazu auf, den aktuellen Ansatz zur Einführung einer teilweisen Impfpflicht gegen Masern nochmal zu überdenken.

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Quelle: https://aktuell.uni-erfurt.de/2019/07/22/wer-die-impfpflicht-einfuehren-will-muss-erstmal-seine-hausaufgaben-machen/