„Wir wollen das politische Lagerdenken aufbrechen…“

8. April 2019
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Wenn vom 23. bis 26. Mai über ein neues europäisches Parlament abgestimmt wird, dann steht auch eine noch ganz junge Initiative auf der Liste: „Demokratie DIREKT!“ lautet ihr Name, gegründet wurde sie erst im Dezember 2018 – von Studierenden an der Universität Erfurt. Das Team hat es sich zum Ziel gesetzt, alle Bürgerinnen und Bürger aktiv am parlamentarischen Geschehen zu beteiligen und dafür in den vergangenen Wochen bundesweit Unterstützung von studentischen Initiativen erfahren. „WortMelder“ hat bei Elena Vogel und Lukas Knecht vom Bundesvorstand einmal nachgefragt…

Wie kam es zu dieser Initiative und wer steckt hinter „Demokratie DIREKT!“?
Wir sind Studierende aus Erfurt, aber mittlerweile engagieren sich verstärkt auch Studierende aus Jena, Leipzig und Göttingen bei uns. Und natürlich beteiligen sich auch Menschen abseits des universitären Spektrums. Wir haben uns ursprünglich mit dem Ziel getroffen, über die „Demokratie in der Krise“ zu sprechen. Denn die ist nicht nur im rechten Meinungsspektrum international spürbar, sondern auch in dessen Fahrwasser zu erkennen. Und weil wir diese undemokratischen Tendenzen nicht hinnehmen wollen uns aber mehrheitlich auch nicht in der aktuellen politischen Parteienlandschaft beheimatet fühlen, haben wir eben ein eigenes demokratisches Modell entwickelt: „Demokratie DIREKT!“.

Welche Hürden mussten Sie nehmen, um überhaupt zur Europawahl
zugelassen zu werden?

Wir haben uns im Dezember 2018 unmittelbar nach der Entwicklung unseres Konzeptes in der Universitätsbibliothek Erfurt gegründet. Der Gründungsakt war schon eine bürokratische Hürde, die in der Kürze der Zeit nur mit einem starken Teamgeist zu nehmen war. Wir mussten 4000 Unterstützungsunterschriften sammeln und diese bei den jeweils zuständigen Bürgerämtern bestätigen lassen. Nach der Gründung hatten wir nur noch knapp zwei Monate Zeit, um all diese Unterschriften zu sammeln, sie bestätigen zu lassen und schlussendlich beim Bundeswahlleiter einzureichen. Ja, so eine Gründung ist formal aufwendig, aber am Ende nicht schwieriger als eine gute Hausarbeit zu schreiben: Man kann eine Partei mit drei Personen gründen. Der entscheidende Schritt ist jedoch, die Partei auch wirklich „auf die Straße“ zu bekommen, sprich: Menschen zu motivieren, diese 4000 Unterschriften zu sammeln. Wir haben dieses Ziel nicht nur erreicht, sondern mit mehr als 4600 beglaubigten Unterstützungsunterschriften sogar überschritten. Damit sind wir wohl in der Geschichte Deutschlands die „schnellste Partei“ von der Gründung bis zur Wahlzulassung.

Wie wollen Sie das Ziel, künftig allen Bürgern die aktive Teilhabe am
parlamentarischen Geschehen zu ermöglichen, erreichen?

Die aktive politische Teilhabe gewährleistet unser demokratisches Modell. Es steht bei uns anstelle eines Parteiprogramms: Wir schaffen ein Forum, in dem wir alle Entscheidungen, die in den Parlamenten anstehen, auf unserer politischen Plattform teilen. Dort können sich alle Menschen registrieren, diskutieren und darüber abstimmen, wie sich unsere Abgeordneten im Parlament verhalten sollen. Alle Entwürfe sind transparent, jeder kann für oder eben auch gegen den jeweiligen Beschluss stimmen. Kurz: So wie die Mehrheit der Bevölkerung abstimmt, stimmen auch alle unsere Abgeordneten im Parlament ab. Und ein weiterer zentraler Punkt unseres Konzeptes: Alle Bürger haben die Möglichkeit, eigene Ideen in Form einer Initiative in das Forum zu laden. Gelingt es der Initiative, eine bestimmte Anzahl an Unterstützern zu generieren, bringen unsere Parlamentarier sie ins Parlament.

Warum ist die bisherige Lösung aus Ihrer Sicht nicht ausreichend?
Wie angesprochen, sehen wir auf die „Revolution der Rechten“ bislang keine adäquate Antwort seitens der Gesellschaft. Das Problem ist unserer Ansicht nach nicht mit einem rein demokratischen Diskurs zu lösen und auch die staatlichen Institutionen bieten keinen anhaltenden Schutz vor demokratiegefährdenden Tendenzen. Für uns sind grundlegendere, also systemische Veränderungen nötig. Churchills Aussage, die Demokratie sei die schlechteste Staatsform, ausgenommen all jene, die man von Zeit zu Zeit ausprobiert habe, kennen wir natürlich. Dennoch glauben wir daran, dass sich Demokratien qualitativ verbessern lassen, wenn wir das politische System modernisieren, und die Bürgerinnen und Bürger ihre Meinung wieder besser vertreten sehen. Eine solche neue Form der Repräsentation wäre sehr viel direkter, als wie wir es bisher in Deutschland gewohnt sind.

Wenn immer mehr parlamentarische Entscheidungen, beispielsweise zu Klimapolitik, Freihandelsabkommen oder Sozialpolitik, am Wohl der Bevölkerung vorbeigehen, dann gibt es da womöglich auch einen Zusammenhang mit dem „Verschwinden der Volksparteien“. Aber wir wollen uns nicht an den Fehlern anderer abarbeiten, wichtiger ist es, an neuen Perspektiven zu arbeiten und dem aktuellen Kurs eine neue und hoffnungsvolle Richtung zu verpassen. Idealistisch, aber nicht realitätsfremd. Demokratie kann so viel mehr, wenn man ihr nur die Möglichkeit gibt – und die haben wir. Deshalb ist es unser Ziel, den Menschen wieder das Gefühl zu vermitteln, dass sie unmittelbar auf die politischen Entscheidungsfindungen Einfluss nehmen können. Wir wollen Politikverdrossenheit eindämmen und die Freude an der Teilhabe, dem „Mitmachen“ in der Demokratie revitalisieren.

Läuft man bei dieser direkten Form von politischer Entscheidungsfindung nicht Gefahr, dass am Ende doch nur einige wenige Interessierte die Themen bestimmen, Internet-Trolle – flankiert von Fake-News – Stimmung machen und Politikverdrossene das Feld den „Lautsprechern“ überlassen?
Es besteht natürlich die Gefahr, dass wir nicht alle Menschen erreichen oder nur wenige Interessierte abstimmen. Das geht Hand in Hand mit dem Gefühl der Bürger, politisch nichts mehr erreichen zu können. Politische Bildung ist das Stichwort. Sie muss gestärkt werden. Unser radikal demokratischer Ansatz hat das Potenzial, die Bildungsinstitutionen z.B. Schulen und Universitäten zum Handeln zu zwingen. Natürlich: Wenn Demokratie funktioniere soll, ist eine umfassende politische Bildung unabdingbar. Hier sehen wir in Deutschland Nachholbedarf.

Wir verstehen uns selbst gar nicht als Politiker im eigentlichen Sinne, sondern als Menschen, die, neben dem Systemischen, auch dem Einzelnen verstärkt den Anstoß geben wollen, mehr über Politik nachzudenken. Wenn wir mit unserem Forum erfolgreich sind, wird es politische Vereinigungen dazu zwingen, sich zu beteiligen, zumindest wenn sie unsere Stimmen nicht bei der politischen Konkurrenz wissen wollen. Wir stellen uns das Szenario wie folgt vor: Politisch Interessierte bzw. politische Meinungsführer werben in unserem Forum für ihre Ideen. Und weil die Community sehr heterogen ist, werden die Akteure im Forum gezwungen sein, Sachargumente anzuführen. Schon deshalb, weil im Forum auch die Filterblasen der klassischen Sozialen Netzwerke aufgebrochen werden. Menschen sind bekanntlich für Informationen offener, die das eigene Weltbild stützen und für Argumente verschlossener, die gegen die eigenen Anschauungen sprechen. Soziale Netzwerke haben mit ihren Algorithmen dieses Problem für die Nutzer noch einmal verschärft. Angezeigt werden also oft nur die Beiträge, die zur eigenen Meinung passen.

Die Lernerfahrung der Nutzer bei uns soll hingegen sein, dass auch das bisherige politische Feindbild in einigen Fragen sachlich gut argumentieren kann. Wir wollen damit das politische Lagerdenken aufbrechen. Nicht mehr die eine oder andere Partei steht im Vordergrund, sondern das beste Argument für diese oder jene Entscheidung. Damit hoffen wir, eines der Grundprobleme des demokratischen Diskurses besser zu adressieren. Denn bisher war es so, dass einige populäre politische Entscheidungen zu wenig sachlich begründet waren.

Damit das Forum funktionieren kann, muss es natürlich vergleichbare Sicherheitsstandards wie beispielsweise das Online-Banking-Verfahren erfüllen. An einer solchen Sicherheitsarchitektur arbeiten wir gerade mit Hochdruck. Unser Konzept sieht eine möglichst niedrigschwellige Beteiligungsmöglichkeit vor, wobei man mit jeder Verifikationsstufe (E-Mail, Handy-Nr., Nachweis des Wohnorts in Deutschland, Personalausweis Verifikation) immer mehr Partizipationsrechte erlangen kann. Die eigene Abstimmung ist zwar geheim, kommentiert werden kann jedoch nur mit Klarnamen. Damit wollen wir Hetzkommentaren und Internettrollen vorbeugen. Denn diese „Quasi-Öffentlichkeit“ stellt eine viel größere Hürde dar, sich nicht zu „benehmen“, als es in klassischen sozialen Medien der Fall ist. Und natürlich soll das Forum auch moderiert werden. Wer einen ersten Einblick in das Forum bekommen möchte, kann sich die App bei unserem Kooperationspartner Democracy mal anschauen.

„Demokratie DIREKT!“ möchte auch ganz junge Menschen bewusst am
parlamentarischen Geschehen teilhaben lassen. Deshalb soll das Online-Forum bereits für Kinder ab zwölf Jahren geöffnet werden. Die haben aber noch kein Wahlrecht. Wie können sie sich trotzdem an den Debatten bzw. Entscheidungen beteiligen?

Man kann in unserem Forum unabhängig vom eigenen Wahlrecht abstimmen. Die Voraussetzungen sind eine deutsche Staatsangehörigkeit und eine sichere Altersverifikation. Ab dem 12. Lebensjahr können Kinder dann gleichberechtig mit allen anderen Nutzern auf der Plattform abstimmen. Das ermöglicht ihnen einen direkten Einfluss auf das Parlament, auch ohne wahlberechtigt zu sein.

weitere Informationen zu „Demokratie DIREKT“!

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Quelle: https://aktuell.uni-erfurt.de/2019/04/08/wir-wollen-das-politische-lagerdenken-aufbrechen/