Zum Leben erweckt – Schwarz-Weiß-Erfurt

28. März 2022
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Es ist die erfolgreichste Saison für den Volleyball Bundesligisten Schwarz-Weiß Erfurt. Der Aufbruch zeigt erste Früchte und noch bis Mitte März kämpfte man um einen der begehrten Play-Off-Plätze. Dies und vieles mehr waren Themen in der aktuellen Ausgabe des Volleyball-Magazins.

Jahrelang war Schwarz-Weiß Erfurt das Kellerkind der Liga. Anfang 2021entschied sich der Klub für einen Neustart. Ullrich Kroemer hat sich vor Ortumgeschaut und dabei eine unverkennbare Aufbruchstimmung gespürt.

Thomas Recknagel kann sich noch gut daran erinnern, wie er im Dezember 2020 zum ersten Mal mit Konstantin Bitter telefonierte. „Ich habe sofort gemerkt, da ist jemand, der Konzept, Ideen, Visionen und Ehrgeiz hat”, erinnert sich der Manager von Schwarz-Weiss Erfurt (SWE): „Ein Bruder im Geiste.” Recknagel war nicht nur auf Trainersuche, es ging um Existenzielleres, und zwar um nicht weniger als den Fortbestand des Erstliga-Standortes in der thüringischen Landeshauptstadt. „Es stand grundsätzlich zur Disposition, ob wir hier überhaupt weitermachen wollen – und wenn ja, wie”, berichtet Recknagel. Entweder Rückzug aus dem Oberhaus oder ein Neustart mit neuem Managerteam und – ganz essenziell – neuem Trainer, der bereit für ein langfristiges
Engagement ist – so lauteten die Optionen.

Gemeinsam mit Yves Wangemann hat Recknagel zum Gespräch in die Geschäftsstelle in einem Ladengeschäft zehn Autominuten entfernt von der pittoresken Erfurter Altstadt gebeten. Das emsige Geschäftsführer-Duo will den jahrelang ambitionslos dahintreibenden Kellerklub zu neuem Leben erwecken. Zum Kaffee am runden Tisch in Recknagels Büro gibt es – passend zum Thema und in den Vereinsfarben – Pralinen der Edition Black & White. Es sind auch die Kleinigkeiten, die den jahrelang wenig beachteten Standort Erfurt in neuem Lichte erscheinen lassen.

Nicht nur in der Geschäftsstelle, auch auf dem Parkett hat sich einiges getan. Vom zuverlässigen Punktelieferanten ist SWE zu einem Anwärter auf die Play-off-Plätze gereift. Nach dem Sieg gegen den Mitkonkurrenten aus Münster keimte in Erfurt plötzlich der Traum von der erstmaligen Teilnahme an der Runde der letzten Acht auf. Und wenn es nicht in diesem Jahr klappt, dann in den nächsten Spielzeiten.

15 Monate zuvor stellten die neuen Entscheider noch die Sinnfrage. „Wir hatten uns ein Loser-Image erarbeitet”, so Recknagel, „und sind nur noch belächelt worden. So ehrlich muss man sein.” Seit dem Aufstieg 2016 war der Nachfolger des TuS Braugold Erfurt zuverlässig für den letzten oder vorletzten Platz gebucht gewesen. Die Fluktuation auf dem Trainerposten war hoch, die der Manager ebenfalls. Nie deckten sich bei Geschäftsführern, Trainern und Spielerinnen Erwartungen, Qualität und Engagement. Und wenn es mal mit dem Trainer passte, wie in der Saison 2019/2020 mit Florian Völker, war der nach einem Jahr wieder weg, weil dem Klub in jeder Hinsicht die Argumente fehlten.

Auch der Rückhalt in der Stadt schwand immer weiter. Die Sponsoren fragten, warum man das ewig verlierende Team noch weiter unterstützen solle, die Stadt verlor das Interesse und die Zuschauer blieben weg. Nur einmal, beim Aufstieg 2016, war die 1250 Fans fassende Riethsporthalle zum Saisonfinale mit 1150 Fans annähernd voll. Zwar ist SWE der einzige Erstligist unter den Teamsportarten der 214 000-Einwohner-Stadt, doch es mangelte bislang schlicht an einer Story, die der Verein nach außen hätte verkaufen können. Der Klub war gefangen in der Spirale des Nicht-Absteigen-Könnens oder sogar -Dürfens. Als sich die Erfurter 2019 freiwillig zurückziehen wollten, starteten die Konkurrenten eine Solidaritätsaktion und trugen rund 20 000 Euro zusammen, um den Punktelieferanten in der 1. Liga zu halten. Und so ging es weiter in der 1. Liga – ohne die nötige Vision.

Also initiierten Recknagel, A-Trainer und Vize-Präsident, und Wangemann vor zwei Jahren den Neustart. Beide kennen sich seit Jahrzehnten und sind gut befreundet. Der Zuspieler Recknagel spielte einst in der 2. Liga und Regionalliga beim Post SV Erfurt Außenangreifer Wangemann die Bälle zu. Nun bilden die beiden 53-Jährigen in der Geschäftsstelle ein Team. Der gut vernetzte Wangemann stellte seinen Unternehmer-Job als Inhaber einer Firma für Parkettböden hintenan und wirkt seitdem als eine Art Außenminister, während Urgestein Recknagel – seit drei Jahrzehnten dabei – seine Stundenanzahl beim Olympiastützpunkt Erfurt reduzierte.

Nun bündelt das Duo seine Ressourcen, um das gemeinsame Projekt voranzutreiben: Nachhaltigkeit, Respekt und Erfolg für Erfurt. „Wir wollen in der Bundesliga nicht nur für eine schöne Stadt und eine tolle Bratwurst bekannt sein, sondern auch dafür sorgen, dass die Gegner mit Respekt herkommen”, sagt Wangemann: „Die Stadt und die Jugendlichen sollen sehen, dass man hier erfolgreich Volleyball spielen kann.”

Als zentrale Figur, Gesicht und Macher wurde Konstantin Bitter auserkoren. Der im heutigen Kasachstan geborene Deutsch-Schweizer stößt nach dem morgendlichen Training zur Gesprächsrunde dazu. Der 32-Jährige Trainer füllt den Raum durch seine Präsenz sofort aus: Und das nicht nur durch seine beachtliche Statur – breitschultrig, großflächig tätowierte Arme, Vollbart. Der Mann hinterlässt Eindruck.

So ähnlich muss es gewesen sein, als Bitter im vergangenen Sommer den Erfurter Volleyball erweckt hat. Die komfortable Position als Assistenztrainer von Alexander Waibl beim Deutschen Meister Dresdner SC tauschte er ein gegen den ersten Posten als Cheftrainer. „Essenziell für ein solches Projekt ist, dass es alle als Herzensangelegenheit begreifen”, sagt Bitter mit leichtem Schweizer Akzent: „Weil das hier eine unglaublich schwierige Aufgabe ist, die so viel Passion und Leidenschaft braucht.” Es gehe nicht um „Lukratives, sondern darum, dass man etwas hinterlässt”. Weil sie in Erfurt so überzeugt von dem Newcomer auf dem Trainerposten sind, einigten sie sich auf einen Vier-Jahres-Vertrag bis 2025 – eine absolut ungewöhnliche Laufzeit im Saisongeschäft Volleyball.

„Wir müssen hier den Rahmen schaffen, dass wir konstant die Plätze sechs bis zehn erreichen”, sagt Bitter. Das erreiche man nur über die Professionalisierung des Klub- und Teamumfeldes. Bitter beteiligte sich im vergangenen Frühjahr intensiv an der Planung für den Kader und brachte ein neues Anspruchsdenken von Dresden nach Erfurt mit. So erhöhte er etwa die Trainingsumfänge und –qualität, zudem stellte ihm der Verein einen Athletiktrainer und eine komplexe Physiotherapie zur Verfügung. Dass Bitter mit Ex-Nationalspielerin Lenka Dürr liiert ist – das Paar erwartet ein Baby – erwies sich als Glücksfall, als die erfolgreiche Libera interimsweise den erkrankten Co-Trainer Thrasyvoulos Efstathopoulos vertrat.

„Das Level, das wir hatten, war viel zu niedrig. Die erste Zielstellung war, überhaupt ein konkurrenzfähiges Level aufzubauen”, sagt Recknagel. Das ist gelungen, nun müsse dieses Niveau in allen Bereichen weiter stabilisiert und peu á peu ausgebaut werden. Dafür braucht es Geld und neue Unterstützer. Als das Dreigestirn begann, war – auch wegen der Coronakrise – gerade ein größerer, fünfstelliger Betrag an Sponsorengeldern weggefallen. Inzwischen ist es gelungen, neues Vertrauen aufzubauen und den Sponsorenpool von 30 verbliebenen auf 45 Geldgeber zu erhöhen. Der Gesamtetat bewegt sich im mittleren sechsstelligen Bereich – damit rangiert Erfurt unter den letzten Vier der Liga.

Nicht nur für Geldgeber, sondern auch für Spielerinnen soll Erfurt wieder zur interessanten Adresse werden – nicht als x-beliebige Durchgangsstation, sondern als interessantes Sprungbrett. „Die erfahrenen Spielerinnen mögen die neue Idee des Projekts und wollen unsere Vision mittragen”, sagt Bitter: „Und junge Spielerinnen kommen zu uns, weil sie das Vertrauen haben, einen Schritt nach vorn zu machen. Wir müssen da hinkommen, dass wir für junge Spielerinnen die beste Adresse sind, um weiterzukommen.”

Die neue Qualität aus Thüringen spricht sich rum. Auch die Topteams reisen mittlerweile einen Tag vor dem Spiel an, um kein Risiko einzugehen. Zudem beginnen sie nicht mehr in der B-Besetzung. Hier nimmt die Punkte keiner mehr im Vorbeigehen mit, Wangemann bezeichnet die Saison bereits jetzt als „mega erfolgreich”.

Trainer Bitter brennt schon darauf, das Spiel seines Teams in der Vorbereitung auf die neue Spielzeit zu verfeinern und das Profil zu schärfen. „Mir sind klare Systeme, Disziplin, schnelles Spiel und Aggressivität wichtig”, referiert er, was er sagt, klingt mitreißend und überzeugend: „Ich möchte, dass man uns ernst nimmt, weil wir gefährlich sind und Spielwitz haben.” Noch fehlen dafür die Grundlagen in der Annahme, um stabiler abzuliefern und schnellere, kreativere Lösungen zu entwickeln. „An unseren besten Tagen gewinnen wir gegen Wiesbaden, haben Schwerin am Rande der Niederlage und nehmen Dresden, Stuttgart und Potsdam Sätze ab”, sagt Bitter: „Aber wir verlieren auch 0:3 gegen Suhl, weil die Danke-Bälle nicht zur Zuspielerin kommen.”

 

Der Kern des Kaders soll zusammenbleiben, um ihn durch Spielerinnen zu ergänzen, die Biss und Mut mitbringen. „Wir brauchen Persönlichkeiten mit Gewinner-Mentalität”, sagt Bitter: „Wir müssen Leute holen, die nicht glücklich damit sind, wenn sie knapp verlieren.”

Wenn das Team aufs Feld kommt, sollen die Zuschauer denken: „Vielleicht verlieren sie, weil sie noch nicht so weit sind, aber sie werden eklig sein, zocken, es wird spannend, der Gegner muss an die Grenzen gehen.” Ungewohnte Töne aus Erfurt, das riecht nach Zirkusluft, in der Landeshauptstadt herrscht Aufbruchstimmung.

Das soll auch die Stadtverwaltung mitbekommen, die es bislang nicht schafft, ihrem Erstligisten adäquate Trainingszeiten unter Profibedingungen zu bieten. Also muss Bitter
improvisieren, und das nervt. Vielleicht sollte das umtriebige Trio die Zuständigen mal zu einem Kaffee und schwarzweißen Pralinen einladen, um auch sie davon zu überzeugen,
dass Schwarz-Weiß Erfurt kein Loser-Klub mehr ist und mehr Unterstützung verdient hat. Ulrich Kroemer, Fotos: Sebastian Schmidt

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