Prof. Dr. André Brodocz

Ein Kreuz – viele Effekte

7. Oktober 2019
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Auch die Universität Erfurt unterstützt die Demokratie-Offensive des Thüringer Landtags anlässlich der Landtagswahlen am 27. Oktober. Dazu liefert „WortMelder“ im Vorfeld eine kleine Serie mit Beiträgen des Politikwissenschaftlers Prof. Dr. André Brodocz. In Folge eins geht es um die Frage: Kann man eigentlich „taktisch“ wählen?

Bei den jüngsten Landtagswahlen
in Sachsen und Brandenburg haben einige Politikerinnen und Politiker die Stärke
der amtierenden Regierungsparteien zu Lasten der eigenen Partei sich und den
Medien damit erklärt, dass  Teile ihrer
Anhängerschaft offensichtlich „taktisch“ gewählt haben. Ihre eigentlichen
Wählerinnen und Wähler wollten mit der Wahl der CDU in Sachsen bzw. der SPD in
Brandenburg dazu beitragen, dass wenigstens eine Partei mehr Stimmen erreicht
als die AfD. Entscheidend für ihre Wahl sei also gewesen, welchen Platz eine
Partei am Ende des Wahltags in der Parteientabelle erreicht.

Am 27. Oktober wählen auch die Thüringer Bürgerinnen und Bürger ihren neuen Landtag. Am Wahlergebnis wird sich dann ebenfalls ablesen lassen, in welchem Ausmaß die Parteien in Thüringen über Rückhalt in der Bevölkerung verfügen. Dieser Tabellenstand der Parteien ist aber nur ein Nebeneffekt des Wählens, das in erster Linie allerdings auf andere Effekte abzielt. Mit ihrer Wahl bringen die Bürgerinnen und Bürger zuerst zum Ausdruck, welche Meinungen und Interessen, Präferenzen und Werte sie im Parlament vertreten sehen wollen. Aber das ist nicht alles. Sie legen auch fest, wer in ihrem Namen die Gesetze beschließen soll, unter denen sie die kommenden fünf Jahre leben wollen. Da zudem die künftige Landesregierung von den Mitgliedern des neuen Landtags gewählt wird, entscheiden die Wählerinnen und Wähler mit ihrer Wahl auch noch darüber, welchen Chancen die Parteien auf eine Beteiligung an der Regierung haben. Von der Zweitstimme hängt es dabei ab, welche Parteien im Landtag eine Mehrheit bekommen, um dann gemeinsam Gesetze beschließen und eine Regierung bilden zu können. Die Zweitstimme ist also das Kreuz, auf das es am Wahltag ankommt.

Es ist also nur ein Kreuz, aber es hat offensichtlich verschiedene Effekte, zuerst auf die im Landtag repräsentierten Meinungen und Interessen. Dann wirkt es sich auch darauf aus, wer regieren kann und wer nicht. Ob jedoch die gewählte Meinung im Landtag tatsächlich vertreten wird und ob die gewählte Partei am Ende in die Regierung kommt, hängt nicht allein vom eigenen Kreuz, sondern auch davon ab, wie die anderen wählen. In Thüringen sind 1.734.000 Bürgerinnen und Bürger für die anstehende Landtagswahl wahlberechtigt. Wer seine Meinung sicher im Landtag vertreten sehen will, muss auf eine von 18 Parteien setzen, die hoffentlich auch noch von ungefähr 86.000 anderen gewählt werden wird. Das lässt sich anhand von Umfragen und früheren Wahlergebnisse zumeist noch einigermaßen sicher abschätzen. Deutlich unsicherer ist, ob die mit der Wahl angestrebte Regierungskoalition ausreichend Stimmen bekommt. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht alle Parteien bereit sind miteinander eine Regierungskoalition zu bilden. Denn manche Koalitionen werden schon vor der Wahl grundsätzlich ausgeschlossen.

Wenn außerdem frühere Wahlergebnisse helfen, die Aussichten einer Partei bei der anstehenden Wahl abzuschätzen, dann hat die Stimmabgabe bei dieser Wahl sogar noch weitere Effekte, nämlich auf künftige Wahlen. So macht das Kreuz bei dieser Wahl immer auch deutlich, welche Parteien bei den nächsten Wahlen als aussichtsreich und welche Wahlprogramme für die Zukunft erfolgsversprechend erscheinen. Dieser Effekt ist nicht zu unterschätzen. Parteien beobachten die Wahlergebnisse darum genau auf neu aufkommende Interessen und Meinungen, um dann bei kommenden Wahlen schnell politische Angebote dafür bereit zu stellen können. Denn nach der Wahl ist bekanntlich vor der Wahl.

Die vielen Effekte, die ein Kreuz auf dem Wahlschein bewirkt, machen das Wählen schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint. Wer seine Meinungen und Ansichten durch die Wahl einer Partei im Landtag gut vertreten sieht, muss womöglich inkauf nehmen, dass dadurch auch Parteien an der Regierung beteiligt werden können, die man nicht in diesen Ämtern sehen will. Wem dagegen nur eine bestimmte Regierungskoalition zusagt, der muss womöglich deshalb eine Partei wählen, die Interessen und Werten im Landtag repräsentieren wird, die nicht durchgängig die eigenen sind. Da nicht alle Parteien in Thüringen bereit sind, miteinander zu koalieren und dann auch noch die voraussichtlichen Stimmenanteile der Parteien sehr unterschiedlich ausfallen, sind auch die Effekte, die ein Kreuz bei der LINKEN, der CDU, der SPD, der AfD, den Grünen oder der FDP macht, verschieden. Auch die Wahl von Parteien, die kaum Aussichten auf einen Einzug in den Landtag, sowie das Nicht-Wählen haben ganz verschiedene Effekte. Kann man unter diesem Umständen überhaupt taktisch wählen …?

Lesen Sie dazu am Mittwoch in unserer nächsten Folge, welche Auswirkungen es hat, wenn Sie Ihr Kreuz bei der LINKEN machen.

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Quelle: https://aktuell.uni-erfurt.de/2019/10/07/ein-kreuz-viele-effekte/