Prof. Dr. Julia Knop

Nachgefragt: „Das Tabu ist gebrochen, die katholische Kirche spricht über ihre Missbrauchsfälle. Und nun, Frau Prof. Knop?“

18. März 2019
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Erst kürzlich trafen sich knapp 200 Bischöfe der Weltkirche im
Vatikan zu einer Konferenz über die Missbrauchsfälle in der katholischen
Kirche. Auch die deutschen Bischöfe haben im Rahmen ihrer
Frühjahrsversammlung jüngst über die Konsequenzen der sogenannten MHG-Studie
über „Sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische
Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der
Deutschen Bischofskonferenz“ gesprochen. Mit einem Impulsvortrag war
auch Julia Knop, Professorin für Dogmatik an der
Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, dabei. Für
ihren Beitrag und ihre konsequente Haltung erhielt die Erfurter
Theologin viel öffentlichen Zuspruch. „WortMelder“ hat noch einmal
nachgehakt: „Die Debatte um die Missbrauchsfälle in der katholischen
Kirche stellt für selbige ganz sicher eine Zäsur dar. Und nun, Frau
Prof. Knop?“

„Die genannte Studie, die im vergangenen September publik wurde,
hatte ja bereits die Debatte der Herbstvollversammlung der
Bischofskonferenz bestimmt. Auf der Frühjahrsvollversammlung wurde nun
einerseits natürlich der Stand der Dinge in Fragen der Aufarbeitung und
Aufklärung besprochen, aber darüber hinaus auch zu übergreifenden Themen
gearbeitet: zu strukturellen Hintergründen, typisch katholischen
Risikofaktoren, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt in der
katholischen Kirche begünstigen können. Konkret ging es auf dem
Studientag, in den ich mit besagtem Impuls eingeführt und den ich dann
den Tag über moderiert habe, um die drei Themen ‚Macht‘, ‚priesterliche
Lebensform (Zölibat)‘ und ‚kirchliche Sexualmoral‘. Diese Themen waren
in der MHG-Studie benannt worden, sind aber, das wissen wir alle, seit
Jahrzehnten in der Diskussion. Diese Diskussion wurde bisher von
kirchlich-institutioneller Seite aber nicht zugelassen, sogar tabuisiert
– mit teils verheerenden Folgen für Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler. Nun wurden sie in ihrem prekären, gefährlichen
Zusammenhang auf die Tagesordnung gesetzt. Das war wirklich neu und
allein das hat eine enorme Resonanz gefunden. Ich hoffe sehr, dass auch
diejenigen Bischöfe, die die kirchliche Tradition der Tabuisierung
dieser Themen gern fortgeschrieben hätten, am Ende des Tages dennoch
froh waren, dass die Debatte endlich auch unter den deutschen Bischöfen
eröffnet worden ist. Denn sie muss geführt werden. Es braucht
tiefgreifende Analysen und strukturelle Konsequenzen und Korrekturen.

Die MHG-Studie hat grauenhafte und widerwärtige Untaten von Klerikern
in einem Ausmaß ans Licht gebracht, dass die katholische Kirche in
Deutschland jeglichen Kredit  verloren hat. Wir wissen, dass darin
lediglich eine untere Schätzgröße priesterlicher Gewaltdelikte beziffert
wurde. Diese Verbrechen sind, das muss man in der katholischen Kirche
immer wieder betonen, keine priesterliche Sünden gegen die Keuschheit
oder den Zölibat. Wir reden hier nicht von ’schwachen, gefallenen
Priestern‘, sondern von Gewaltakten, die Kleriker in asymmetrischen
Machtverhältnissen an Kindern, jungen Leuten und Ordensfrauen begangen
haben. Es geht um physische und psychische, sexuelle und geistliche
Gewalt durch Priester, um Gewalt und ihre Vertuschung im Raum und im
Namen der Kirche. Die MHG-Studie hat systemische Risiken der Institution
katholische Kirche, also spezifisch katholische Faktoren,
identifiziert, die solche Gewalt von Klerikern begünstigen und seine
Ahndung erschweren.

Sexueller Missbrauch liegt als solcher nicht in der
‚DNA‘ der Kirche. Sexueller Missbrauch hat vermutlich auch nicht unmittelbar,
nicht ursächlich mit dem Zölibat zu tun. Allerdings müssen die Risikofaktoren
eines verpflichtenden Zölibats für eine bestimmte Berufsgruppe genau untersucht
werden. Sexueller Missbrauch hat gewiss nichts damit zu tun, dass Homosexuelle
im katholischen Klerus weit überdurchschnittlich vertreten sind. Aber was mit
der ‚DNA‘ der Kirche zu tun hat, was tief in ihr kirchliches Selbstverständnis
eingeschrieben ist und offenkundig prekäre Folgen zeitigen kann, ist die
religiöse Aufladung von Macht, die Immunisierung kirchlicher Deutungshoheit
gegenüber Kritik und Korrektur, die dem Neuen Testament fremde Sakralisierung
des Weiheamtes, die Auratisierung des Amtsträgers, die religiöse Stilisierung
von Gehorsam, Hingabe und Opfer, die geistliche Überhöhung der zölibatären
Lebensform samt ihrer institutionellen Kopplung mit kirchlicher Macht, eine
unterschwellig immer noch enorm wirksame Dämonisierung von Sexualität, die
Tabuisierung und Inkriminierung von Homosexualität und die merkwürdige Paradoxie
asexueller Männlichkeit im zölibatären Priester, dessen Geschlecht aber immer
noch für amtsentscheidend erklärt wird. Das sind systemische
Risikofaktoren in der katholischen Ekklesiologie; wenn man so will:
ideologische Grundlagen, die Amtsmissbrauch begünstigen können. Daran muss
strukturell, aber auch theologisch gearbeitet werden.

Macht – Zölibat – Sexualmoral: Keines der drei Themen des Studientags
der Deutschen Bischofskonferenz ist neu. Aber neu ist, dass sie dort
nun in ihrem destruktiven Zusammenhang wahrgenommen werden. Dass man sie
nicht mehr als Lieblingsthemen der katholischen Linken oder liberaler
Theologie abtun kann, die darin ihre antirömischen Reflexe bedienten.
Neu ist, dass ihre Tabuisierung in der Kirche ein Ende hat. Neu ist die
Erkenntnis, dass diese Themen im Zusammenhang besprochen werden müssen,
damit ihre Problemtiefe wirklich erkannt wird. Neu ist die Anerkenntnis,
dass eine ernsthafte kirchliche Selbstkorrektur, eine substanzielle
Entwicklung nötig ist – deshalb die Rede von der Zäsur. Auch die
Erkenntnis, dass für eine solche kirchliche Transformation theologische
Expertise nötig ist, dürfte zumindest für einige Bischöfe neu sein.
Vieles, was nun ansteht, wird ja seit langem intensiv in der
wissenschaftlichen Theologie bearbeitet, wurde aber kirchlich nicht
aufgegriffen oder wahrgenommen.

Die Themen Macht, Zölibat und Sexualmoral betreffen die
Bischöfe dabei in mehrfacher Hinsicht; Themen und Personen sind hier eng
miteinander verbunden: Die Bischöfe sind Kleriker, die mit einer enormen
Machtfülle ausgestattet sind; sie sind zölibatspflichtig und vertreten das
kirchliche Lehramt, das nicht nur Glaubens-, sondern auch (sexual-)ethische
Fragen zu beurteilen beansprucht. Die Bischöfe stehen in persönlicher und in
amtlicher Verantwortung. Sie können in den anstehenden Fragen nicht in die
methodische Distanz des gepflegten akademischen Diskurses ausweichen. Sie sind
nicht Beobachter, sondern Beteiligte. Denn sie repräsentieren eine Kirche,
deren systemische Defekte offenkundig geworden sind. Sie stehen für eine
Kirche, in der unzählige Biografien von jungen Leuten, von Eltern, von
Ordensschwestern, von Hauptamtlichen, von Theologinnen und Theologen durch
klerikalen Missbrauch von Amtsgewalt, durch sexuelle Übergriffe und geistliche
Manipulation durch Priester, beschädigt, manchmal zerstört worden sind.

Der Studientag in Lingen war, auch wenn einige wenige Gäste und
Referenten daran teilgenommen haben, im Wesentlichen ein
inner-circle-Gespräch der Bischöfe. Ein solches Setting hat seine
natürlichen Grenzen. Aber es war hilfreich, dass die katholischen
Bischöfe über diese Fragen zuerst untereinander und miteinander
gesprochen haben. Es war nötig, dass sie ihre Haltung zu den anstehenden
Erneuerungsprozessen klären und eine gemeinsame Haltung zu tragfähigen
Formaten dieser Prozesse entwickeln, um dann die offene, öffentliche, im
besten Sinne kirchliche Debatte mittragen zu können. Sie wird in den
Gemeinden, den Bistümern, der Wissenschaft, der Gesellschaft ja längst
geführt, allen Versuchen kirchlicher Tabuisierung zum Trotz. Aber es
darf auf kirchlicher Leitungsebene, das muss allen klar sein, eben nicht
bei einem ‚closed shop‘ bleiben. Dies wäre nur ein weiteres Symptom der
gravierenden Strukturkrise der katholischen Kirche. Die Debatte muss
weiter geführt werden und sie muss in der ganzen Breite der Kirche
geführt werden. Sie muss ernsthafte strukturelle und theologische
Konsequenzen hervorbringen. Dafür braucht es verbindliche Formen. Wir
dürfen gespannt sein, wohin der nun in Lingen angestoßene ’synodale Weg‘
die katholische Kirche in Deutschland führen wird.“

Der Beitrag Nachgefragt: „Das Tabu ist gebrochen, die katholische Kirche spricht über ihre Missbrauchsfälle. Und nun, Frau Prof. Knop?“ erschien zuerst auf WortMelder.

Quelle: https://aktuell.uni-erfurt.de/2019/03/18/nachgefragt-das-tabu-ist-gebrochen-die-katholische-kirche-spricht-ueber-ihre-missbrauchsfaelle-und-nun-frau-prof-knop-2/