Oberbürgermeister werden oder Märchenbuchschreiber

13. April 2012
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Die Erwartungen der Tageszeitungen wurden erfüllt: Mehr als einhundert Interessierte wollten Donnerstagabend hören, was die sieben Kandidaten für das Amt des Erfurter Oberbürgermeisters zu sagen hatten.

Die gut zweistündige Veranstaltung moderierten die Leiter der Lokalredaktionen der TLZ und TA, Frank Karmeyer und Klaus Wuggazer. Das Podium begann mit einer auflockernden Raterunde, in der die Kandidaten Zitate als ihre eigenen wiedererkennen sollten oder den Aussagen durch Handzeichen auch ihre Zustimmung geben durften. Breite Zustimmung fand dabei der Ausbau verkehrssicherer Radwege zwischen den Ortsteilen.

Keiner der sieben Kandidaten war um Antworten verlegen: Michael Panse (CDU), Michael Menzel (parteilos für Linkspartei), Andreas Bausewein (amtierender Oberbürgermeister, SPD), Kathrin Hoyer (Grüne), Thomas L. Kemmerich (FDP), Dr. Gerd Stübner (Freie Wähler) und Peter Brückner (parteilos für Piraten).

In der Diskussion ging es verstärkt um Bürgerbeteiligung, einen fahrscheinfreien oder kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, die Buga und das Petersbergplateau, die Umweltzone sowie um die Stadtverwaltung und Investitionen. Das Publikum war aufgefordert, Fragen zu stellen.

Grundsätzlich sind alle Kandidaten für die Bürgerbeteiligung. Peter Brückner nannte die Multifunktionsarena als verpasste Chance in Sachen Bürgerbeteiligung. Ebenso hätte Gerd Stübner eine Bürgerbefragung zur Arena gern gesehen. Stübner lehnte es ab, dass Sitzungen des Stadtrates “hinter verschlossenen Türen stattfinden” und erntete einen einsamen Applaus aus dem Publikum. Kathrin Hoyer verwies auf das Bürgerinformationssystem, mit dem die Grünen schon “mehrfach ernst gemacht” hätten in Sachen Bürgerbeteiligung. So veröffentlichten die Grünen auf ihrer Homepage bereits Unterlagen zu den Ratssitzungen. Auch Andreas Bausewein verwies auf ein Bürgerinformationssystem, das ab kommender Woche im Internet zu finden sein solle. Thomas L. Kemmerich warf ein, dass Bürgerbeteiligung den Bürgern auch das Gefühl geben müsse, wirklich beteiligt zu werden. Bausewein nannte als Beispiel für gelungene Bürgerbeteiligung unter anderem den Hirschgarten. Die Bürger sollen zudem in die Feinplanung zur Buga einbezogen werden. Michael Menzel vergaß bei der Bürgerbeteiligung nicht, die Senioren zu erwähnen, die mit ihren besonderen Anliegen ebenfalls berücksichtigt werden müssten. Michael Panse warb für eine frühzeitige Information der Bürger.

Eine kurze Irritation der Diskussion geschah durch die erste Wortmeldung aus dem Publikum durch einen Mann, der für das Anliegen einer seit Jahren mit der Stadt prozessierenden Frau eintrat, die sodann das Podium forsch nutzte, um besonders von Bausewein Gerechtigtkeit für ihr Anliegen einzufordern. Der reagierte besonnen, betonte, dass er sich stets an Recht und Gesetz gehalten habe und erklärte der Dame, dass die von ihr aktuell an die Stadt gereichten umfangreichen Dokumente in nächster Zeit geprüft würden.

Michael Menzel und Peter Brückner traten für die fahrscheinfreie Nutzung der Busse und Straßenbahnen ein. Fahrscheinfrei bedeute nicht kostenlos. Der fahrscheinfreie Nahverkehr solle durch ein sogenanntes Flatrate-Modell finanziert werden. So solle von jeder Bürgerin und jedem Bürger ab achtzehn Jahren monatlich ein Betrag von fünfzehn oder zwanzig Euro gezahlt werden, so Menzel. Hoyer konnte sich dem Wunsch nach dieser fahrscheinfreien oder gar kostenlosen Nutzung der Straßenbahn und der Busse zwar anschließen, könne dies aber nicht realistisch verprechen. Brückner meinte, dass die Ortsteile besser an den öffentlichen Personennahverkehr angebunden werden könnten, wären die Busse besser ausgelastet. Einiges Gemurmel und Getuschel im Publikum löste Brückners Vorschlag aus, dass für alle, die ihr Auto abschaffen würden, der Nahverkehr kostenlos nutzbar sein solle. Zudem regte er an, zunächst Kinder und Jugendliche kostenfrei Bus und Straßenbahn fahren zu lassen. Andreas Bauswein warf die große Zahl ein, die für eine fahrscheinfreie beziehungsweise kostenfreie Nutzung der Straßenbahnen und Busse aufgebracht werden müsste: dreißig Millionen Euro! Der amtierende Oberbürgermeister lobte das seiner Ansicht nach gut ausgebaute öffentliche Verkehrsnetz und dass die Straßenbahn einst nicht abgeschafft worden sei, was in den 1970er Jahren diskutiert worden sei.

Eine Frage aus dem Publikum zu umweltfreundlichen Technologien für Autos brachte Kathrin Hoyer in Fahrt: Als Oberbürgermeisterin hätte sie, was umweltfreundliche Autos beziehungsweise die Verbannung nicht umweltfreundlicher Vehikel angehe, mehr Spielraum und längst gehandelt. Sie konnte sich nicht verkneifen von den großen Autos zu sprechen, die “vorwiegend kleine Männer fahren.” Sogenannte SUV’s, das sind große Geländelimousinen, seien in der Stadt nicht nötig. Bausewein sagte, dass man das Auto nicht ignorieren könne, es sei nun einmal da. Er möchte die Altstadt autofreier bekommen. Das funktioniere aber nur, wenn Parkmöglichkeiten, zum Beispiel am Juri-Gagarin-Ring, vorhanden wären. Zur Luftverbesserung verwies er auf neue Feinstaub absorbierende Straßenbeläge, wie sie etwa am Gothaer Platz zum Einsatz gekommen sind, und bessere Ampelschaltungen. Dennoch, die Umweltzone kommt im Oktober. Bausewein nannte 9000 Autos, die die grüne Plakette nicht erhalten werden. Es solle keine Selektion durch die Umweltzone eintreten. Deshalb werde es die Übergangszeit von zwei Jahren geben, in der Bewohner der Umweltzone auch ohne grüne Plakette die Umweltzone befahren dürften.

Panse sprach sich für den Individualverkehr aus, Menzel für den Ausbau des Nahverkehrs als Anreiz, das Auto freiwillig stehen zu lassen und somit letztlich auch Feinstaub zu reduzieren. Stübner befürwortete die Umweltzone für eine bessere Umwelt, hielt sie jedoch als sinnlos, um Feinstaub zu reduzieren. Sinnlos in den Augen Hoyers sei der Parkplatz hinter dem Rathaus, der mangels Platz bloß rotierenden Autoverkehr verursache. Hoyer findet die Umweltzone “blöd”, weil die Zone lediglich zeige, dass die Luft mit Schadstoffen belastet sei. Lieber seien ihr eine weniger belastete Luft, mehr Radwege und auch ein Tempolimit. Kemmerich möchte kein Tempo 30 auf dem Juri-Gagarin-Ring. Das seien Dinge, die die Bürger gängeln. Er kritisierte im Hinblick auf die Umweltzone, dass es nur die Deutschen schaffen würden, ihre Messgeräte genau dort aufzustellen, wo es am wirksamsten sei. In Marseille, wo die Luft noch stärker belastet sei, stelle man es auf den autofreien Marktplatz. Kemmerich sprach sich für mehr Parkplätze aus. Bausewein sagte, dass das Tempo 30 in der Nacht auf dem Juri-Gagarin-Ring zur Probe bestehe. Deshalb seien die Ampelschaltungen noch nicht angepasst.

Mario Beetz von der Thüringer Occupy-Bewegung prüfte insbesondere Unternehmer Thomas L. Kemmerich, indem er ihn fragte, ob er seine angestellten Friseurinnen auch ausreichend bezahle, und er bat um einen kostenfreien Vereinsraum für die hiesige Occupy-Bewegung. Geschlossen verwiesen die Kandidaten auf die geltenden Bedingungen für alle Anwärter auf einen freien Vereinsraum. Insbesondere, dass ein Raum gegen entsprechende Gebühr vergeben werde. Kemmerich sagte zu Beetz: “Mir fallen viele Vereine ein, die es eher verdient hätten, einen kostenfreien Raum zu bekommen.” Kemmerich, der Vorsitzender des Unternehmens masson®Friseure ist, bestätigte, dass seine Friseurinnen über Tarif bezahlt werden. Er wollte jedoch keine Zahl nennen.

Kemmerich und Menzel sehen die Buga als Chance für den Petersberg. Oberbürgermeister Bausewein ist optimistisch, dass im Zuge der Buga das Petersbergplateau aufgewertet und die Defensionskaserne einer Nutzung zugeführt werde. Er verwies aber auf die eingeschränkte Nutzbarkeit des 170 Meter langen Gebäudes mit seinem dicken Mauerwerk. Schließlich sei die Defensionskaserne einst bombensicher gebaut worden. Hoyer wurde konkreter. Seit zwei Jahren arbeite ihre Partei an Ideen. Es gebe Gespräche bezüglich einer temporären Nutzung für Künstler und Kunsthandwerker. Hoyer erinnerte daran, dass das Gebäude nicht Eigentum der Stadt, sondern des Landes Thüringen sei. Gerd Stübner sprach sich ebenfalls für eine kulturelle Nutzung der Defensionskaserne aus. Er hatte die Idee, das Elektromuseum, das kürzlich seine Räume verlassen musste, dort unterzubringen.

Im Publikum saß Wolfgang Staub. Der Betreiber der Alten Oper ist durch die Erfurter Stadtverwaltung leidgeprüft. Wenigstens aus seiner eigenen Sicht heraus, denn die Stadt machte im November 2010 die Alte Oper dicht wegen Baumängeln. Zuletzt hob die Stadt die Sondergenehmigung zum Befahren der Theaterstraße auf. Staub mochte sich daher zu der Forderung nach einer freundlicheren Stadtverwaltung veranlasst gesehen haben. Er machte außerdem den Vorschlag, am Wahlsonntag die Straßenbahnen und Busse für alle Erfurter kostenlos fahren zu lassen. Herr Menzel, der Herrn Staub versehentlich mit Herrn “Straub” ansprach, sprach sich für eine zuverlässige und schnelle Verwaltung aus. Eine klare Struktur stehe für ihn vor Stellenabbau. Gerd Stübner möchte die Verwaltung ausdünnen, Kathrin Hoyer nicht, die betonte, dass das Gehalt der Verwaltungsangestellten nicht von der Stadt, sondern von den Bürgern gezahlt werde. Sie wünscht sich eine zügige Verwaltung und gut ausgewiesene Gewerbeflächen, zu der auch die Infrastuktur, zum Beispiel die Anbindung an den Nahverkehr, hergestellt werden müsse. Stübner wünschte sich produzierendes Gewerbe und gute Löhne. Michael Panse sagte, dass die Investoren ernst genommen werden müssten, gleich wieviele Arbeitsplätze sie schaffen. Um Investoren anzulocken und Menschen in der Stadt zu halten, müsse bezahlbarer Wohnraum, angemessener Lohn, Kindergartenplätze und ein gut ausgebauter Nahverkehr her, wofür im Wesentlichen alle Kandidaten stehen.

Ein Zuschauer wünschte zu hören, was die Kandidaten im Falle ihrer Nichtwahl machen werden: Kathrin Hoyer werde weiterhin als Bilanzbuchhalterin beziehungsweise nach ihrem Abschluss als Betriebswirtin arbeiten. Bausewein zeigte Humor und erntete Applaus: “Jedenfalls gehe ich nicht zu den Stadtwerken!” Und Rechtsanwalt Michael Menzel wolle Märchenbücher schreiben, sollte er nicht Oberbürgermeister werden.

Von Suyak