Möhring-Brüder zur Herbstlese: New York, Berlin und das Brüdersein

Möhring-Brüder zur Herbstlese: New York, Berlin und das Brüdersein

13. Oktober 2022
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Im Gespräch mit Sönke Möhring

Geschichten über Geschwister gibt es häufig in der Literatur. Die Bindung zwischen den Kindern einer Familie ist die längste Beziehung im Leben, von starken Gefühlen geprägt und hat großen Einfluss auf die Entwicklung. Außerdem liefert sie viele Ansatzpunkte für Geschichten. Eine solche ist „Rausch & Freiheit“ – das Brüderbuches von Sönke und Wotan Wilke Möhring. Es beschreibt die gemeinsame Entdeckungsreise in das Ich des anderen und das sich selbst Finden auf diesem abenteuerlichen und zugleich auch bereichernden Weg.

Sönke Möhring – Foto: T. Wulff

Falls das Buch der Möhring-Brüder Sönke und Wotan Wilke einmal verfilmt werden sollte – die Autoren wären auch gleich die perfekten Hauptdarsteller. Beide sind seit vielen Jahren erfolgreiche Schauspieler. Als gemischtes Doppel – eine der Themenreihen des Erfurter Literaturfestivals treten Sönke und Wotan Wilke Möhring am 10. November im Atrium der Stadtwerke auf die Bühne, um über das Leben, die Nacht und das Brüdersein zu erzählen und aus dem gemeinsamen Buch zu lesen.

Wir sprachen mit Sönke Möhring, dem fast sechs Jahre jüngeren der beiden Schauspieler, vor der Lesung in Erfurt:

Wie erinnern Sie sich aus heutiger Sicht an die Zeit damals? Haben Sie noch Kontakt zu ihren damaligen Freunden?

Sönke Möhring: Ich war ja damals noch sehr jung, noch nicht mit der Schule fertig, kam aus einem ereignisreichen historischen Moment, der deutschen Einheit. Mein Bruder und ich haben das sehr geschätzt, in Amerika auf ein so freies und liberales gesellschaftliches Umfeld zu treffen, das sich ja damals in dieser personellen Zusammensetzung auch erst gefunden hat. Man wollte einfach nur glücklich und zufrieden sein. Das war der größte gemeinsame Nenner für diese positive Zeit. Viele gesellschaftliche Themen, die uns heute beschäftigen, standen damals nicht auf der Tagesordnung. Die Zeit war analoger, viele Dinge waren einfacher, wir waren nicht verdorben von komischen Einflüssen. Zu einigen Freunden, über die wir in unserem Buch schreiben, haben wir noch immer Kontakt. Auch zu anderen, die wir nicht persönlich in das Buch aufgenommen haben. Einige sind leider schon verstorben. Die freundliche Unverbindlichkeit der Amerikaner fand ich aber als Einstieg in eine solche bunte Welt wie New York sehr hilfreich.

Wie wäre Ihr Leben verlaufen, wenn Sie nicht in New York gestrandet, sondern in Herne geblieben wären?

Sönke Möhring: Als Jüngster und auch aus Liebe zur Mutter war ich zu Hause eher das ruhigere Kind. Wäre ich nicht in New York gewesen, hätte es irgendwann einen Moment gegeben, der auch diese persönliche Entwicklung herauskehrt. Es ist ja eine Seite von mir, die nur verborgen war. Sie wurde während meines Amerikaaufenthaltes stimuliert, ein besseres Umfeld hätte es nicht geben können. Dank meiner Eltern und auch dank meines Bruders habe ich mir eine Offenheit geschaffen, die auf lange Sicht hilfreich ist. Wenn man nicht über sich hinaus wächst, trägt man später im Leben große Unzufriedenheit in sich, Dinge nicht ausprobiert zu haben. Für mein Umfeld war dieser Schritt nach New York zu gehen, noch viel ungewöhnlicher als für mich selbst, weil man es mir nicht zugetraut hat. Ich bin so stolz und dankbar meinen Eltern gegenüber. Sie haben mich gelehrt, dass man sich über die Dinge, die man nicht ausprobiert, nicht beschweren darf. Glück und Zufriedenheit habe ich andernorts gefunden, dennoch bin ich meiner Heimat verbunden.

Wäre eine solche Reise heute nochmal denkbar?

Sönke Möhring: Heute ist das Reisen viel einfacher und normaler geworden. Dadurch gehen Lernmomente und der Reiz verloren, weil sich alles immer mehr ähnelt. Damals fand das Leben auf einer ganz anderen Ebene statt, war analoger. Die Welt gleicht sich heute immer mehr an. Wir proklamieren zwar immer, dass die Gesellschaft offener und toleranter ist, besonders die Individualität fördert, aber unterm Strich ist es genau das Gegenteil. Ich bin dankbar, dass ich diese analoge Zeit der 1990-er in New York und später in Berlin miterleben durfte und mein Bruder ist es genauso.

Was schätzen Sie aneinander besonders, welche Eigenschaften finden Sie eher schwierig?

Sönke Möhring: Zu den schönen Dingen gehört für mich, dass ich durch meinen Bruder gelernt habe, mir etwas mehr zuzutrauen. Ich glaube, das kommt im Buch auch so rüber. Mein Bruder ist sehr stringent in seinem Denken und Reden, ich bin diplomatischer, er ist der impulsivere. Aber das gleicht sich mit dem Alter immer mehr an. Man hat eine Grundhaltung aus der Jugend heraus, die legt man auch nicht ab. Das ist Teil von einem, aber man wird ruhiger. Die Musik hat Wotan und mich zusammengeführt, auch wenn er auf Punk stand und ich auf Hip Hop. Er hat das sehr gemocht, dass ich etwas Rebellisches in mir habe, so wie er selbst. Das hat uns sehr viel näher gebracht.

Wie ist das Verhältnis zu Ihren anderen Geschwistern, wenn die Beziehung zwischen Ihnen beiden so eng ist?

Sönke Möhring: Wir wollten in dem Buch die Entstehung unserer Brüderlichkeit beschreiben, von dem Moment der deutschen Einheit, über die Zeit in New York bis zum Umzug nach Berlin. Deshalb werden die anderen beiden nur erwähnt. Alle vier Geschwister haben einen wahnsinnig engen Bezug zueinander, trotz des besonderen Brüdermoments, den Wotan und ich erlebt haben. Die anderen beiden (Hauke und Wiebke) können damit umgehen. Wir vier sind sehr verbandelt und telefonieren regelmäßig. In dem Buch gab es aber auch für Hauke und Wiebke die eine oder andere Überraschung über uns.

Gibt es eine gemeinsame Bucketlist für Sie und Ihren Bruder?

Sönke Möhring: Nach dem Abschluss des Buches waren wir uns einig: Wir müssen nochmal nach New York, auch wenn das ein ganz andere Ort ist als der, den wir im Buch beschreiben. Dazwischen liegen 30 Jahre und sehr viel Veränderung. Diese besondere Energie ist trotzdem noch da….

Eine weitere gemeinsame Liebe neben der Musik ist der BVB (Dortmund). Wir reisen auch mal zu spannenden Spielen nach Madrid, Liverpool, Kopenhagen…

Wir wollen auch gern nochmal eine schöne ruhige Wanderung machen, dorthin, wo es kein Telefonnetz gibt. Die besten Momente im Leben sind die, in denen man ganz frei ist von Zwängen. Diese generelle Erreichbarkeit ist Fluch und Segen zugleich. Es bleibt viel Wichtiges auf der Strecke. Das tiefe Gefühl, warum man so verwurzelt miteinander ist, fehlt uns dann manchmal. Das sieht Wotan aber genauso.

Rausch ist ein Schlüsselbegriff des Buches. Was bedeutet Rausch heute für Sie?

Sönke Möhring: Im Buch beschreibe ich, welchen Rausch ich als Kind erlebe, wenn ich durch den Wald renne. Rausch hat für mich nichts mit Drogen zu tun. Mein permanenter Rausch ist heute die Liebe zu meinem 10-jährigen Sohn. Das trägt mich durch so viele müder Alltagsmomente. Das ist alle Mühe wert. Wir sind als Familie gern draußen. Meine Rauschmomente haben fast alle mit meiner Familie, meinem Sohn zu tun und mit der Natur.

Haben Sie mit Ihrem 10-jährigen Sohn über das Buch gesprochen?

Sönke Möhring: Er hat das Buch im Regal gesehen und sich dafür interessiert. Ich habe ihm erklärt, er kann es mit 18 Jahren lesen, weil viele Dinge erklärungswürdig sind.

Sie sind ihrem Bruder nach Berlin gefolgt, um auch Schauspieler zu werden. Gab es einen Plan B, wenn das nicht klappt?

Sönke Möhring: Ich habe den Beruf des Kinderpflegers gelernt, Abitur gemacht und dann in Berlin ein Studium in Soziologie und Psychologie begonnen. Ich habe schnell bemerkt, das ist nicht mein Weg. Nach dem Studienabbruch habe ich Werbekaufmann gelernt, weil mich Marketing interessiert hat. Kurzzeitig hatte ich überlegt, Textilmanagement zu studieren. Und ich war Redakteur eines Magazins in Berlin. Was Plan B wäre, die Frage habe ich mir nie gestellt. Auch wenn ich wie Wotan zu alt für eine klassische Schauspielausbildung war. An allen vorherigen Stationen meines Berufslebens hätte ich aber wieder anfangen können, eine Absicherung gab es also. Aber dann hat es ja auch schnell mit dem Einstieg in die Schauspielerei geklappt.

Sönke Möhring und Wotan Wilke Möhring N. Geisler Fotopress

Das Buch ist in Teilen wie ein Zwiegespräch zwischen Ihnen und Ihrem Bruder….

Sönke Möhring: Wir haben es bewusst so gehalten, dass jeder ein Thema aus seiner ganz persönlichen Sicht schildert. Obwohl wir diese tiefe Verbindung haben, sehen wir die Dinge anders. Das macht es ja für uns so spannend und hoffentlich für den Leser auch. Wir hatten ja schon eine Lesereise, als das Buch heraus kam und uns sehr gefreut, wie groß die Lust auf solche Veranstaltungen wieder ist. Ich freue mich auf die Herbstlese. Es kommen viele tolle Kollegen und ich mag Erfurt auch sehr.

Vielen Dank und wir freuen uns auf den 10. November in Erfurt!


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